Goldmacher (German Edition)
sie zum ersten Mal zu verstehen. Nein, gegen die, die diese Wahrheit verhinderten! Nur, wer waren diese Verhinderer, die ihm die geliebte Garantin dieser Wahrheit geraubt hatten?! Als hätten sie sich irgendwo im Haus versteckt, raste er jetzt durch die Räume, riss die Türen auf und schlug sie hinter sich zu. Erst Simon und Moritz, aufgeschreckt vom Lärm, konnten Anton schließlich zum Innehalten bewegen und ihn beruhigen.
Sie, die Kinder, nahmen ihn wie ein Kind in die Arme. Und nun brach er aus Anton heraus, der Schmerz, in den Armen seiner Söhne weinte er hemmungslos.
In dieser Nacht errichteten Moritz und Simon ein Lager um Antons Bett und schliefen in Schlafsäcken neben ihm. Die meiste Zeit waren sie wach und redeten miteinander. Aber keiner von ihnen, auch nicht Anton, sprach über das, was neben Trauer, Verlust und Leere bleischwer auf ihnen lastete, keiner sprach über die Schuld an Sissis Tod.
Wie häufig schon war Anton im ununterbrochen kreisenden Gedankenstrom zurückgekehrt an den Anfang, als er Simon und Moritz erlaubte, das Schlauchboot zu nehmen, obwohl er wusste, dass der Motor nicht in Ordnung war. Er hatte sie darauf hingewiesen, aber nur halbherzig, musste er immer wieder vor sich selber zugeben. Sie beschäftigt und nicht gelangweilt zu wissen, war ihm wichtiger gewesen.
Und wie oft schon hatte Moritz den Moment wiederholt, als er Simon nachgab, noch etwas weiter rauszufahren, und als sie dann die Veränderungen am Himmel zu spät bemerkten.
Und wie oft schon hatte sich Simon für sein besessenes Tauchen schuldig gefühlt.
Doch keiner sprach darüber zum anderen, jeder behielt seine Schuldgeschichte für sich. Vielleicht jedoch war es gerade das, was sie nicht aussprachen, das Unausgesprochene, was aber trotzdem, wenn auch unausgesprochen, zwischen ihnen hin und her schwang, das sie in dieser Nacht verband, sie zu einem Bund zusammenschweißte, zu einem Dreierbund mit einer unsichtbaren Vierten: Sie würden ohne Sissi weiterleben, so wie sie mit Sissi gelebt hätten, versprachen sie sich.
Anton war der Erste, der aus diesem Bündnis ausscherte, heimlich und ohne dass es Moritz und Simon zunächst bemerkten. Es gelang ihm nicht, ohne Sissi weiterzuleben, wie er mit Sissi gelebt hatte. Die Leere, die sie hinterließ, zog ihn in ein immer tieferes Loch. Jeden Tag fiel es ihm schwerer, aus diesem Loch wieder herauszukommen. Wenn er abends zu Bett ging, wagte er nicht, einzuschlafen, aus Angst, in ein noch tieferes Loch zu fallen.
Moritz und Simon brachten von Freunden zwei Welpen mit nach Hause, Sissi hatte sich Hunde gewünscht, nachdem Kastor und Pollux gestorben waren. Doch auch die Tiere, so schien es zumindest Anton, vermissten Sissi, sie schienen suchend durch das Haus zu laufen oder verkrochen sich. Ihre Anwesenheit bedrückte ihn. Auch wenn Moritz und Simon Freunde mitbrachten, Musik hörten und tanzten, zog er sich in die äußerste Ecke des Hauses zurück.
»Du siehst alles nur noch schwarz«, klagten die Zwillinge, »das würde Sissi nicht gefallen.«
Er gab sich Mühe, ging mit ihnen ins Kino, auch ins Theater, sie unternahmen kleinere Ausflüge und kurze Reisen, aber für ihn blieb das Licht ausgeknipst, so hatte er seinen Gemütszustand Leni einmal beschrieben, ohne Sissi wäre es dunkel um ihn herum.
Er suchte einen Ausweg, er wollte dieser Bodenlosigkeit, die sich vor ihm auftat, entkommen, ihr Einhalt gebieten. Aber wie? Seine Arbeit half ihm dabei nicht, es gelang ihm trotz einiger Anstrengung nicht, genügend Funken aus ihr zu schlagen, um Licht in die dunkle Höhle zu bringen.
Irgendwann konnte er sich überhaupt nicht mehr vorstellen, wodurch die Dunkelheit, die ihn umgab, sich jemals wieder aufhellen lassen würde. So begann er, der Dunkelheit mit kleinen Aufhellern zu begegnen, die ihm Hans-Ulrich empfohlen hatte.
Hans-Ulrich, der Antons vergebliche Versuche, aus seiner reaktiven Depression herauszufinden, wie er Antons Zustand nach Sissis Tod fachkundig nannte, längere Zeit beobachtete, behauptete, dass er sich mit diesem Zustand auskenne. Veronika nehme bereits seit einigen Jahren regelmäßig diese kleinen Aufheller ein. Mit großem Erfolg, betonte Hans-Ulrich und vertraute Anton an, Veronika habe mithilfe der kleinen Gemütsstabilisatoren einen bereits Jahre zurückliegenden schlimmen Verlust überwunden. Er gab keine Auskunft über diesen Verlust, überreichte Anton aber einen Umschlag mit einer Probepackung besagter Gemütsstabilisatoren.
Für Anton,
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