Goldmacher (German Edition)
sich die Kassette anhören solle, sie enthielte auch die Hausaufgabe für die zweite Lektion. Und schon spurtete sie davon. Anton sah ihr hinterher, bezahlte und steckte die Kassette in seine Jackentasche. Als er sie sich später auf der Autobahn anhörte und Luzie zuhörte, wie sie von dem im zehnten Gebot radikal verbotenen Begehren sprach, das der Grund für alle Verfeindung unter den Menschen sei, fühlte er sich dann doch als der Schüler, der er ja auch hatte sein wollen.
Vielleicht würde er sie eines Tages begehren, dachte er, und ein ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht.
3.
Er selber brachte den Namen ins Spiel. In einem Brief an Anton beschrieb sich Franz als hinkenden Ahab, bei dem es »tok tok tok« mache, wenn er mit der Krücke über Holzdielen oder Steinböden ginge. Anton antwortete, er solle doch erst einmal »Moby Dick« lesen, bevor er sich mit einem Mann vergliche, der im Übrigen ein Bein verloren und nicht, wie er, ein steifes Bein habe.
Als Franz kurze Zeit darauf in der Münchner Innenstadt an einer Buchhandlung vorbeikam, fiel ihm wieder Antons Aufforderung ein, und er kaufte den Roman von Herman Melville. Herman, las er auf dem Umschlag, mit einem N. Er erinnerte sich daran, wie er als Hitlerjunge das in der deutschen Schreibweise fehlende N angemahnt hatte, als läge es erst wenige Wochen und nicht einige Jahrzehnte zurück.
Obwohl von Anton und ihrer gemeinsamen Geschichte angespornt, gelang es ihm nicht, mehr als die ersten hundert Seiten zu lesen. Sowieso schon vom Umfang des Romans entmutigt, lösten die langatmigen Beschreibungen des Walfangs schließlich einen so heftigen Widerwillen in Franz aus, dass er das Buch beiseitelegte und nie wieder in die Hand nahm. »Moby Dick« sei unlesbar, ließ er Anton in aller Offenheit wissen, er werde aber bei Gelegenheit den Beweis führen und ihm »den Ahab machen«, wie er wörtlich schrieb.
Doch dazu kam es nicht, denn Franz verliebte sich immer mehr in die Vorstellung, er selbst sei ein alter Kapitän auf großer Fahrt und besessen von der Idee, einen großen, ja, den großen Fisch an die Fangleine zu bekommen. So zumindest hatte er die Geschichte vom Kapitän Ahab und dem weißen Wal verstanden. Auf jeden Fall verfolgte er ein großes Ziel, nämlich den Ausbau seines kleinen Hotelimperiums. Die Familienskandale mit dem Vater hätten diesen Ausbau verhindert, glaubte Franz, aber auch der Liebesrausch mit Luzie, in den er hineingeschlittert sei, weil er den Halt in der Familie verloren habe. Jetzt und wieder mit Rosi vereint, sollte das Familienunternehmen zu großer Fahrt auslaufen.
Völlig unerwartet half ihm dann dabei die Wiedervereinigung. Die veralteten Solotels in Spanien erfreuten sich bei den reisehungrigen Deutschen aus den neuen Bundesländern wegen günstiger Preise bald großer Beliebtheit, das Geschäft boomte. Richtig in Schwung kam das Unternehmen jedoch erst, als Pia in die Firma kam.
Pia, die Jüngste, hatte Betriebswirtschaft studiert, worüber ihre Schwestern die Nase rümpften. Praktisches Wissen eignete sie sich danach in verschiedenen Tourismusunternehmen und Hotels in Asien an, wo sie im Management arbeitete.
»Wir brauchen ein neues Konzept«, meinte sie nach nur einem Monat im Familienunternehmen zu Franz. Franz hatte in dieser kurzen Zeit in Pia bereits den Sohn erkannt, für den er und Rosi sich damals in Rom auf dem Petersplatz den Segen des Papstes gewünscht hatten.
»Was für ein neues Konzept?«, fragte Franz neugierig und durchaus dazu bereit, Pias Vorschlag anzunehmen.
»Wellness«, antwortete sie.
»Wellness? Was ist das denn?«
Pia erinnerte sich an die von Franz in ihrer Kindheit oft wiederholte Überzeugung: Geld veredelt die Welt.
Wellness, erklärte sie ihm jetzt, sei eine Art Übersetzung von dieser seiner Überzeugung und beinhalte eine mit einem gewissen Aufpreis verbundene Veredelung von Körper, Geist und Seele. Und sie hätte auch bereits zwei Expertinnen im Auge, die ein erstes Konzept ausarbeiten könnten, nämlich Lisa und Emily. Franz war entzückt. Auch wenn er sich unter Wellness als Veredelung von Körper, Geist und Seele wenig vorstellen konnte, die Verstärkung der Besatzung auf dem Familiendampfer beflügelte ihn bei seiner Jagd nach dem großen Fisch.
Ein paar Tage darauf führte Pia ihre beiden Schwestern in den Konferenzraum von Solotel. Auf dem Konferenztisch standen Getränke und eine Schale mit Chips.
»Ziemlich ungesund«, sagte Lisa und zeigte auf die
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