Goldmacher (German Edition)
Wiesen, das ockergelb leuchtende Landhaus mit den grün-weiß gestreiften Fensterläden und in einiger Entfernung dahinter der ansteigende Hügel, der die Produktionsanlage mit den Kesseln und dem Gewirr von Schläuchen und glänzenden Rohren beherbergte: Alles lag genau so vor ihm wie vor zehn Jahren, als das Automobil mit Dr. Willinger und ihm hier in die Einfahrt eingebogen war. Die Madonna hatte er vorbeifahrend gesehen und sich sogleich an einem Ort gewähnt, zu dem man Vertrauen fassen durfte. Jetzt stieg auch in Johann Zorn auf.
»Lass dich nie täuschen«, brach es aus ihm heraus, »glaub niemals an Wunder! Wunderglaube ist Sünde!«, verkündete er seinem Sohn.
»Aber Jesus hat viele Wunder vollbracht, das steht doch in der Bibel!«, protestierte Anton, noch immer in höchstem Maße irritiert und verwirrt über die Anwesenheit der Jungfrau Maria an diesem teuflischen Ort.
»Das sind Wunder, die Gott und sein Sohn vollbracht haben!«, donnerte Johann und wandte sich von der Madonnenstele, diesem steinernem Standbild, ab.
»Gott kann Wunder vollbringen, Menschen nicht, vergiss das nie, mein Sohn«, rief er aufgebracht, »wann immer dir jemand ein Wunder verspricht, glaube ihm nicht, Menschen vollbringen keine Wunder, das ist alles … alles … das ist nichts als Brimbamborium!«
Jetzt sah Anton seinen Vater Zornesblicke in Richtung des friedlich und wie unbewohnt daliegenden Landhauses schleudern. Dabei lief sein Gesicht rot an und die Adern am Hals traten hervor. Nun hob er auch noch beide Arme, schüttelte die geballten Fäuste und rief mit lauter Stimme: »Das ist alles Brimbamborium! Nichts als Brimbamborium!«, und wiederholte es immer wieder.
Noch nie hatte Anton seinen Vater so aufgebracht gesehen! Er beobachtete ihn mit wachsendem Staunen und vergaß darüber seinen eigenen Zorn, und ganz plötzlich wurde er von der mächtigen Präsenz des Vaters aus den geheimnisvoll diffusen Fantasien über den Goldmacher in eine kraftvolle Wirklichkeit gerissen.
»Brimbamborium?!«, wiederholte er mit hoher, fast singender Stimme, »Brimbamborium?«, lachte es aus ihm heraus, und der Ernst, der sonst auf seinem Gesicht lag und selbst wenn er lachte noch im Grau seiner Augen hängen blieb, löste sich wie ein Schleier, und ein Strahlen, wie Johann es nur von Katharina kannte, es aber schon fast vergessen hatte, seit so langer Zeit war es bereits verloschen, entflammte das ganze Gesicht seines Sohnes.
Und nun breitete Anton mit einer von seinem Vater noch nie gesehenen Gebärde seine Arme aus, warf sich ungestüm gegen seinen Körper und umarmte ihn, während er immer wieder unter Gelächter »Brimbamborium« herausprustete. Selbst auf der Rückfahrt im Zug nach München wurde Anton unversehens von Lachen geschüttelt, kam ihm der Vater mit seiner Brimbamborium-Beschwörung in den Sinn.
Den Goldmacher jedoch hatten sie nicht gesehen. Als ein Bauer mit seinem Fuhrwerk vorbeigezottelt kam, fragte der Vater ihn nach dem Goldmacher, und der Bauer rief ihm von seinem Bock auf bayerisch zu: »Der scheißt jetzt Gold in Berlin.«
Johann verstand nicht. Da wiederholte es der Bauer, lachte laut auf und rief noch: »Der Teufel scheißt eben immer auf den noch größeren Haufen!«
5.
Der dunkelrote Horch von Hubert glitt über die Uferstraße, die am See entlangführte. Hinter dem Steuer saß der Chauffeur, der Franz vom Segeln abgeholt hatte, Hubert selbst war in dringenden Angelegenheiten nach Wien gereist.
»Er marschiert«, behauptete Franz, der vom Chauffeur mehr über die dringenden Angelegenheiten des Vaters wissen wollte, die als streng geheim galten. Unlängst hatte Franz gehört, wie die Mutter zum Vater sagte, er schneide sie vom Atem der Geschichte ab, obwohl er ihr doch versprochen habe, dieser Atem würde auch sie beflügeln. Seitdem versuchte Franz, mehr über die geheimen Angelegenheiten des Vaters zu erfahren, er wollte unbedingt vom Atem der Geschichte beflügelt werden, der Ausdruck hatte ihn kolossal beeindruckt.
Der Chauffeur murmelte allerdings nur irgendetwas von einer Vorstandssitzung.
Franz schüttelte energisch den Kopf, er hatte gestern beobachtet, wie die glänzenden schwarzen Schaftstiefel der Uniform, die der Vater zu Parteiveranstaltungen und ähnlichen Feierlichkeiten trug, im Koffer verstaut worden waren.
»Er marschiert, glaub es mir«, widerholte Franz und rüttelte vom Rücksitz aus an der Schulter des Chauffeurs.
Der schwieg, drosselte aber in Erwartung einer S-Kurve das
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