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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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tausendjährigen Eiche zu huldigen. Er trommelte mit den Fäusten auf den Tisch und alle vier HJ ler taten es ihm gleich.
    Tatsächlich brachen die sechs Jungen eine Stunde vor Mitternacht auf, angeführt vom neuen Gruppenführer Anton Bluhm. Und mit ihnen kam auch der Bauer, die Bäuerin und die große Mehrzahl der Festgesellschaft. Sie alle hatten beschlossen, zum Ausklang des Erntedankfestes unter der mächtigen tausendjährigen Eiche mit den HJ lern das anbrechende Tausendjährige Reich zu feiern, dessen versprochene Früchte sie schon heute, spätestens jedoch morgen ernten würden.
    Nur Anton, der Initiator, fühlte sich von diesem Geist nicht beflügelt, ihn plagte, trotz großem Stolz auf seine Eingebung, dann doch ein wenig das Gefühl, ungute Geister zu beschwören. So folgte er mit eher gemischten Gefühlen dem Bauer Buck, der, ausgerüstet mit einer Stalllaterne, den Zug anführte. Langsam entfernte er sich von der erleuchteten Tenne und tauchte hinter dem Dorf in eine weder vom Mond noch von Sternen erhellte Dunkelheit ein.
    Die Dorfbewohner waren ausnahmslos in ausgelassener Stimmung. Sie hatten nach dem Festessen, das wie in jedem Jahr aus geschmortem Schweinebauch mit Pellkartoffeln, Birnen, Bohnen und Speck bestand, ihre Gemüter mit selbst gebrannten Schnäpsen erhitzt. Die Männer begannen nun, deftige Witze zu erzählen, die bei den Frauen Gekicher und vereinzelt hohes Kreischen hervorriefen. Zudem versetzte die Dunkelheit, durch die als einzige Lichtquelle die Stalllaterne von Bauer Buck schaukelte, die Festgesellschaft in große Aufregung. Was die jüngeren Männer und Frauen dazu brachte, einander zu zwicken und zu schubsen. Woraufhin die Hunde, die ihre Herrschaften begleiteten, von Zeit zu Zeit heftig bellten. Und das brachte wiederum das eine oder andere ängstliche Kind zum Weinen, sodass Bauer Buck seiner Gefolgschaft irgendwann zurief, sie wäre ein zentnerschwerer Sack voller Flöhe, den er auf seinem Buckel den Berg hinaufschleppen müsse.
    Daraufhin beruhigte sich die Festtagsgesellschaft etwas, verfiel aber bald in ein Kichern und Wispern, das noch mehr Unruhe hervorrief. Bis dann einer von den älteren Männern ein Marschlied zu singen begann, in das die anderen Männer einstimmten, was schließlich zu Ruhe und Ordnung führte.
    Als der Zug den Wald erreicht hatte und unter das mäandernde Gewölbe hoher Bäume trat, verstummte, je tiefer er in den Wald vordrang, nach und nach der schmetternde Gesang der Männer. Und obwohl jeder aus dem Dorf den Weg hinauf zur tausendjährigen Eiche seit frühester Jugend kannte, gab es wegen der großen Finsternis und dem ansteigenden Gelände ein ständiges Stolpern und Fluchen. Schließlich hielt Bauer Buck mit hochgehaltener Stalllaterne den Zug an und forderte die HJ ler auf, die mitgeführten Fackeln, die eigentlich erst unter der Eiche zum Einsatz kommen sollten, jetzt anzuzünden und im Zug zu verteilen.
    Franz, der abwechselnd mit Anton die Fahne trug, während die anderen vier HJ ler die Fackeln schleppten, trat einen Schritt vor Anton und fragte in militärisch knappem Ton an, ob Gruppenführer Bluhm dem Vorschlag von Bauer Buck, wegen der Dunkelheit jetzt die Fackeln anzuzünden und im Zug zu verteilen, zustimme.
    Anton hatte mittlerweile seinen Spaß am Spiel zurückgewonnen, schienen doch alle anderen auch ihren Spaß zu haben.
    »Sollen verteilt werden!«, schnarrte er militärisch knapp und erschrak, in seiner wiedergefundenen Spiellaune hatte er die Stimme des Führers imitiert. Er hatte sein Talent zur Nachahmung schon häufiger ausprobiert, aber stets nur im Kreis der Familie, niemals öffentlich. Zum Glück schien es niemandem außer Franz, der ihn erstaunt ansah, aufgefallen zu sein.
    Nun loderten überall im Zug Fackeln auf und ihr Flackern schien Büsche und Bäume zu bewegen, sie aus der Tiefe des Waldes heraustreten oder in eine schwindelerregende Höhe wachsen zu lassen. Dieses Licht-und-Schatten-Spektakel beeindruckte alle sehr und das Gerede verstummte. Aber auch, weil sich der Weg die letzten paar hundert Meter recht steil den Hügel hinaufschlängelte, was manchen, nicht zuletzt Bauer Buck, hatte außer Atem geraten lassen.
    Dann endlich erreichte der Zug das Plateau, auf dem die Eiche, wie jeder, nicht nur im Dorf, sondern in ganz Schleswig-Holstein zu erzählen wusste, seit tausend Jahren wuchs. Aber erst als es den Männern mit einiger Mühe gelungen war, die lodernden Fackeln in den vom Wurzelwerk durchwucherten

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