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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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Waldboden zu verankern, wurden ihre Umrisse, wurde ihr ganzes erhabenes Ausmaß sichtbar, und es erschien Anton gewaltig: Würden er und die anderen fünf HJ ler mit ausgestreckten Armen, sich an den Händen fassend, den mächtigen Stamm überhaupt umspannen können?
    Er trat unter die Eiche und sah in die Höhe, die Äste streckten sich in den Nachthimmel wie ein Bündel mäandernder Flussarme. Er hatte sich unter der Tausendjährigen ein greisenhaftes, uraltes, ja, versteinertes Wesen vorgestellt, nicht einen lebendigen Baum in solch titanenhaften Ausmaßen. Er berührte mit den Fingern die Furchen der Rinde, spähte wieder nach oben ins wuchernde Toben der Zweige. Sie schienen im Feuerschein der Fackeln einen wilden Tanz zu zelebrieren, der Anton mächtig ansteckte und, obwohl Initiator der Feier, seinen Widerspruchsgeist wachrief.
    Als sich alle im Schein der lodernden Fackeln im Halbkreis um die mit Mühe im Waldboden verankerte Fahne versammelt hatten und Franz in seinem Gedicht das Tausendjährige Reich beschwor, stimmte Anton, kaum hatte Franz geendet, ein kirchliches Erntedanklied an: »Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, / doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: / Der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf / und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf …«
    Franz kannte weder Text noch Melodie, doch einige von den Bauern und Bäuerinnen sangen mit. Franz hätte jetzt gern ein richtiges HJ ler-Lied angestimmt, aber er hatte wenig musikalisches Talent, weshalb er es nur wagte, in der Gruppe mitzusingen, und so fiel ihm jetzt, am Ende von Antons Lied, nichts anderes ein, als Heil Hitler! zu rufen.
    Die Versammelten antworteten ihm geschlossen mit Heil Hitler! . Gleich rief er es noch einmal, und wieder wurde ihm geantwortet, wie es ihm schien, dieses Mal mit einem Echo aus dem Wald. Er setzte zu einer dritten Wiederholung an, doch plötzlich breitete sich Unruhe unter den Versammelten aus, mehrere Frauen hatten zur Rückkehr ins Dorf gemahnt und auf die bereits weit hinuntergebrannten Fackeln gezeigt. Kurz entschlossen zerrten die Männer sie jetzt aus dem Boden, und ein ziemlich ungeordneter Zug eilte ihnen hinterher den Hügel hinunter.
    Die Erntehelfer folgten ihnen mit eingerollter Fahne und einem echten HJ ler-Lied auf den Lippen. Nur Anton sang nicht mit.
    Schnell verlor der bereits ohnehin schwache Feuerschein der Fackeln an Kraft, dann verloschen sie und die Finsternis war groß. Ein heftiges Stolpern und Rutschen begann. Die Männer riefen nach den Hunden, die immer wieder einer Fährte folgten und im Dickicht verschwanden, und die Frauen mussten die Kinder beruhigen.
    Die HJ ler hörten auf, ihr Lied zu singen, und fielen stattdessen ins allgemeine Fluchen mit ein. Sie riefen immer wieder: »Leck mi am Mors!«, wie sie es am Vormittag von Bauer Buck gehört hatten.
    Anton jedoch fühlte sich vom Titanen oben im Wald gestärkt und dachte daran, sich Franz zu entdecken: dass er sich den Fackelkreis um die tausendjährige Eiche zur Feier des Tausendjährigen Reichs nur für ihn ausgedacht habe, weil er, Franz, seine Schlappe nicht ertragen konnte und sie durch magische Kräfte wettmachen musste. Aber glauben dürfe man nicht an solch ein Brimbamborium, das sei Wunderglaube und der sei Teufelswerk. Wie die Sache mit dem Goldmacher. Ja, er würde Franz die Geschichte vom Goldmacher erzählen, als Beweis sozusagen.
    Doch Anton fand keine Gelegenheit dazu, sich Franz zu erkennen zu geben, in Gedanken mit seiner Beweisführung beschäftigt und seinem Kronzeugen, dem Goldmacher, stolperte er und fiel, und die Stirnwunde begann wieder zu bluten. Anton hatte alle Hände voll damit zu tun, die Blutung zu stillen.

7.
    Wenige Tage nach Erntedank traf der Güterzug mit einigen Hundert Männern und Frauen, unter ihnen Friedrich Tausch, aus dem Konzentrationslager Dachau auf dem Bahnhof Sachsenhausen ein.
    Sachsenhausen sei eine Zwischenstation auf dem Weg nach Auschwitz, hörte Friedrich einen Mann auf dem Fußmarsch vom Bahnhof ins Konzentrationslager Sachsenhausen flüstern.
    Friedrich vergaß gleich wieder, was er gehört hatte. Er hatte sich in den vergangenen Jahren angewöhnt, alles, was um ihn herum geschah, möglichst gleich wieder zu vergessen. Manchmal hatte er sogar gehofft, es könnte ihm gelingen, auch sich selber zu vergessen. Seinen Namen zumindest erinnerte er kaum noch, er bestand jetzt aus einer Nummer.
    Nach der Ankunft im Lager wurde allen

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