Goldmacher (German Edition)
zu jagen, seine Ausdauer und seine Kunstfertigkeit zu prüfen. Erst in der späten Dämmerung kehrte er an den Steg zurück.
Dort wartete man bereits auf ihn. Er wurde in einem Jeep der amerikanischen Military Police auf die amerikanische Kommandantur nach Feldafing gebracht. Dort wurde er zu zwei Wochen Arrest verurteilt, eine Art Stubenarrest, während dessen er den Amselhof nicht verlassen durfte.
Franz nutzte die Zeit für seine Zukunftspläne und besprach sich darüber auch mit Alexandra. Er schlug ihr vor, auf dem von den Schafen und Ziegen nicht genutzten Teil der Wiese großflächig Kartoffeln anzubauen. Nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern für den Tauschhandel. Ja, er hatte vor, einen Tauschhandel aufzubauen und die weitläufige Verwandtschaft, aber auch die nähere und fernere Nachbarschaft zu überzeugen, dass er, der Münzer Franz, der Richtige sei, den professionellen Tausch der Früchte, die an den Bäumen in ihren Gärten hingen, zu organisieren. Auch den Tausch von Holz und allem anderen, was einen Tauschwert besaß, wollte er organisieren. Geld hatte in dieser Zeit schließlich keinen Wert.
Wen er heiraten, mit wem er eine große Familie gründen wollte, darüber schmiedete Franz keine Zukunftspläne, er wusste es bereits. Während er draußen auf dem See das Boot wieder aufrichtete, hatte er sie auf dem Steg vom Strandbad gesehen. Sie hatte ihm sogar zugewinkt. Und es war kein Fiebertraum gewesen, nein, sie hatte tatsächlich mit Freundinnen dort gestanden und ihm zugewinkt. Die Rosemarie Schmiedinger, die oberhalb vom See im Dorf wohnte, das Mädchen mit dem dunklen krausen Haar, sie würde seine Frau werden, gleichgültig, ob die Eltern zustimmten oder nicht. Der Vater würde bestimmt nicht einverstanden sein. Rosi war keine gute Partie, Leute wie ihre Eltern kannte Hubert gar nicht.
Am Abend bevor sein Arrest wieder aufgehoben werden würde, weihte er Alexandra in seine Heiratsabsicht ein, und in seine Brautwahl. Er verriet jedoch nicht, wie er zu diesem und all den anderen Entschlüssen gekommen war: Den Verrat von Hubert gab er nicht preis, er wollte Alexandra schonen. Es war dunkel geworden und sie saßen bei Kerzenlicht in der kleinen Küche.
»Darauf müssen wir anstoßen«, sagte Alexandra, stand auf, holte eine Flasche Apfelmost aus dem Schrank, öffnete sie und schenkte das sprudelnde, sektfarbene Getränk in zwei Gläser. Franz merkte, wie ihre Hand dabei leicht zitterte.
»Auf die Zukunft«, sagte sie, hob ihr Glas und erklärte, dass sie eigentlich nicht mehr an die Zukunft geglaubt hätte.
Schon am nächsten Tag begann Franz, Verbindungen zu der weitläufigen Verwandtschaft und Nachbarschaft zu knüpfen. Innerhalb weniger Wochen hatte er die Basis für einen funktionierenden Handel aufgebaut. Getauscht wurden Äpfel gegen Brennholz, Würste gegen Schinken, Eier gegen Schmalz, Autoreifen gegen Hühner und vieles mehr. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, die Tauschgeschäfte zu organisieren. Auch die mit Rosi. Zunächst tauschte er mit ihr Lebensmittel, dann Küsse und Umarmungen, und schließlich wurde sie seine Partnerin im Tauschhandel. Als die Amerikaner ein gutes Jahr darauf den Amselhof verließen und Flüchtlinge einzogen, heirateten Rosi und Franz. Nach noch nicht einmal neun Monaten brachte Rosi ihr erstes Kind, eine Tochter, zur Welt. Sie gaben ihr den Namen ihrer Großmutter, Alexandra, und nannten sie Lexa. Als Lexa von ihrer Großmutter über das Taufbecken gehalten wurde, sah Franz, wie die Spitzen am Taufkissen der Familie, in dem auch er und nach ihm Sepp und Flori getauft worden waren, vibrierten. Alexandras Gesicht jedoch verriet wenig von ihrer inneren Erregung, sie versuchte noch immer, ein Fels in der Brandung zu sein.
3.
Noch immer verbrachte Anton jede freie Minute mit dem Untergang, wie er seine Chronik jetzt abgekürzt nur noch nannte. Allerdings schrieb er wenig. Seine freie Zeit verbrachte er zudem nicht etwa damit, Dokumente zu sammeln oder sie zu sichten, oder sie zu ordnen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er musste das Material erst einmal aufspüren. Abgesehen von dem, was er selbst erlebt, erfahren und gehört hatte, seinem Archiv im Kopf, gab es gar nichts oder noch nichts, wo er hätte recherchieren können. Und Augenzeugen fanden sich auch nur wenige, niemand wollte mit ihm über seinen Glauben an den Nationalsozialismus, an Adolf Hitler und an den Endsieg reden, ein allgemeiner Gedächtnisschwund schien ausgebrochen zu sein.
Der
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