Goldmacher (German Edition)
Stimme.
»Mach sie doch mal auf«, forderte er nun Nino heraus, »nimm sie.« Als sich Nino nicht rührte, griff er dann selber nach der Brieftasche und hielt sie ihm hin.
Nino zögerte.
»Das Geld hat Remo herausgenommen, aber der Pass ist noch drin, nimm schon!«
»Dieser kleine Gauner!« Nino gab sich einen Ruck, nahm sich die Brieftasche, klappte sie auf und durchsuchte sie sorgfältig. Aus einem der Fächer zog er schließlich einen Pass, besah ihn von allen Seiten, klappte auch ihn auf, blätterte darin und fand die Seite mit dem Passfoto.
»Habe ich mir doch gedacht! Der Deutsche!«, rief er aus, »so ein Gauner, dieser Remo!«
»Remo will den Pass verkaufen«, erklärte Francesco stolz.
Nun brach Lauras Beherrschung zusammen, sie riss ihrem Bruder den Pass aus der Hand und starrte auf das Passfoto. Obwohl es ein Schwarz-Weiß-Foto war, schien der Mann aus blauen Augen zurückzustarren. Aus so blauen Augen wie jene von Francesco. Die Augenbrauen, die Nase und das Kinn glichen den Augenbrauen, der Nase und dem Kinn von Francesco, nur die Haare waren tiefschwarz und nicht rotbraun und gelockt wie die von Francesco.
»Was ist?«, fragte Nino und sah seine Schwester verwundert an, sie atmete heftig und schien ihm plötzlich sehr blass.
»Hast du ein Gespenst gesehen?«, versuchte er zu scherzen und wollte ihr den Pass aus der Hand nehmen, aber Laura ließ ihn sich nicht aus der Hand nehmen, sie hielt ihn fest.
»Ich behalte ihn«, entschied sie kurz entschlossen, schob ihn unter ihren Sitz und löffelte ihre Suppe weiter.
»Es ist meiner!«, protestierte Francesco.
»Deiner?! Er gehört dem Mann auf dem Foto!«, stellte Laura fest, ihre Stimme vibrierte dabei leicht.
»Der Pass gehört Remo, er hat ihn mir nur geliehen!«, rief Francesco aufgeregt, »ich habe versprechen müssen, ihm morgen die Brieftasche mit allen Papieren zurückzugeben.«
»Dem Einzigen, dem du die Brieftasche mit allen Papieren morgen zurückgibst, ist der Deutsche«, sagte Laura, nicht minder aufgeregt.
»Wie soll er sie ihm denn zurückgeben?«, mischte sich Nino ein.
»Mit Gottes Hilfe und mithilfe der Jungfrau wird Francesco ihm am Ostersonntag begegnen und ihm die Brieftasche mit seinem Pass, und was sonst noch alles drin ist, zurückgeben! Basta!«
Laura ließ den Löffel so plötzlich fallen und er klirrte so heftig gegen das Porzellan, dass alle zusammenschreckten, selbst Francesco.
Sie nutzte die kurze Irritation, griff schnell nach der Brieftasche, die noch immer auf dem Tisch lag, und schob nun auch sie unter ihren Sitz.
Alle redeten durcheinander, Francesco rief, er könne sein Versprechen nicht brechen, und Laura antwortete, Remo sei ein kleiner Gauner, für dessen Gaunereien Versprechen nicht gelten würden. Nino hielt es für aussichtslos, den Deutschen beim Segen von Il Papa auf dem Petersplatz zu finden, woraufhin Laura erklärte, die Jungfrau würde Francesco schon zu ihm führen. Francesco fluchte mehrmals und bekreuzigte sich anschließend. Bis die Mutter mit der Hand auf den Tisch klopfte und erklärte, Francesco habe gefälligst zu tun, was Laura ihm aufgetragen. Danach verstummten alle.
In der Nacht lag Laura wach neben der Mutter im Bett und starrte in die Dunkelheit. Sie würde diesen deutschen Touristen, den deutschen Soldaten, der damals im Hausflur ohne ihr Wissen in ihren Körper eingedrungen war, nicht hineinlassen in ihr Leben. Auch wenn es wie ein Blitz durch sie hindurchgezuckt war und sie beim Blick auf das Passfoto schlagartig gewusst hatte, was während ihrer Ohnmacht geschehen war, und Francesco von einem ganz und gar irdischen Vater gezeugt worden war, sie würde ohne dieses Wissen weiterleben.
Laura starrte so lange in die Dunkelheit, bis sie die Madonna sah, die ihr zunickte und bestätigte, dass Francesco die Brieftasche zurückgeben müsse. Wenn der Deutsche ihn nicht erkennen würde, könne alles so bleiben, wie es immer gewesen war. Laura seufzte jetzt leise, aber tief auf, schloss die Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.
»Die Jungfrau wird dich zu ihm führen«, versicherte Laura am Morgen des Ostersonntags Francesco beim Abschied und strich ihm durchs Haar.
Er brach vor allen anderen zum Petersplatz auf, die Brieftasche unter dem Hemd und in der Hoffnung, den Deutschen nicht zu finden. Dann würde er Remo die Brieftasche wie verabredet zurückgeben können und sein Ansehen bei ihm nicht verlieren.
Auf dem Petersplatz bahnte sich Francesco einen Weg durch die
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