Goldmacher (German Edition)
böiger Wind. Die Buche vor seinem Fenster hatte durch den Sturm über Nacht ihre Blätter verloren, das goldgelb gefärbte Laub kreiselte nun in Wirbeln über den Hof.
Er ging in das angrenzende Gästebad, duschte, rasierte sich und zog sich an.
Zurück im Zimmer, wurden die Stimmen über seinem Kopf noch lauter, bis man hörte, wie eine Tür laut zuschlug. Kurz darauf sah er Franz, einen furiosen Ausdruck im Gesicht, draußen vor seinem Fenster vorbeirennen.
Anton lief aus seinem Zimmer, den Flur entlang und aus dem Haus, ihm hinterher, er rief seinen Namen, aber Franz schien ihn nicht zu hören.
»Halt ihn auf! Du musst ihn aufhalten! Der Sturm!« Anton drehte sich um, Rosi stand im Hof und forderte noch einmal, jetzt dringlicher, er müsse Franz aufhalten.
Anton rannte los und den Kiesweg hinunter zum See, er sah Franz im Bootshaus verschwinden. Anton sprang die Stufen zum Bootshaus hinunter, riss die Tür zum Schuppen auf und war im letzten Moment mit einem Satz auf dem Boot. Franz bemerkte ihn erst, als sie bereits draußen auf dem See waren. Einen Augenblick starrte er ihn ungläubig an, dann wurde der wilde Ausdruck auf seinem Gesicht von einem plötzlichen großen Lachen weggefegt. Er griff nach einer Schwimmweste und warf sie ihm zu: »Halt dich fest!«, rief er, »du musst dich sehr gut festhalten!«
Anton kauerte sich auf den Boden, während Franz das Segel setzte. Augenblicklich fuhr der Wind hinein, und das Boot glitt pfeilschnell über die von den Böen aufgeraute Wasseroberfläche dahin und in die Weite des Sees hinaus. Anton verlor bald jede Orientierung, er wusste, so schräg wie das Boot im Wind lag und so häufig, wie Franz immer wieder die Richtung gewechselt hatte, kaum mehr Himmel und Wasser voneinander zu unterscheiden. Obwohl er sich mit ganzer Kraft festhalten und mit seinem ganzen Geschick balancieren musste, fühlte er sich wie befreit, je wilder die Fahrt wurde, er dachte nicht mehr an das Lachen von Hubert Münzer, mit seinen Gedanken war er nur noch bei Franz, der ihn, sich selbst und das Boot so sicher den Elementen aussetzte, dem Wind, der sie zerzauste, und den Wellen, die ihnen das Wasser ins Gesicht schlugen.
Später auf der Fahrt zum Flughafen redeten sie wenig, sie waren beide noch auf großer Fahrt über den vom Sturm aufgepeitschten See. Irgendwann jedoch sprach Franz über seinen Streit mit dem Vater, der meinte, er könne das Unternehmen Solotel nur mit seiner Hilfe aufbauen.
»Das bedeutet, er wird Solotel mit meiner Hilfe aufbauen, und ich werde leer ausgehen, wie jetzt nach all den Jahren bei der Bank auch, an die versprochene Beteiligung erinnert er sich nicht mehr!«
Sie wechselten einen Blick und Anton sagte, es sei wohl ein grundsätzlicheres Problem, dass der Vater sich an nichts mehr erinnere.
Wochen später erhielt Anton von Franz einen Brief mit der Bitte um eine Bürgschaft für einen Kredit. Anton bat Hans-Ulrich, Franzens Bürgschaftswunsch zu prüfen. Doch sein Geschäftsführer erklärte sich für befangen. Es spielten komplizierte Verwicklungen, alte und neue Beziehungen und Verwebungen, kurz, zu viele persönliche Dinge mit, die ihm den Blick verstellen würden. Er warnte Anton, ja, er beschwor ihn geradezu, sich nicht in Geschäfte mit den Münzers zu verstricken.
»Verstricken?«, fragte Anton befremdet, es handele sich bei dem Geschäft mit Franz doch nur um eine befristete Bürgschaft, »oder habe ich das nicht richtig verstanden? Übrigens, ich wollte dich bitten, die Vergangenheit von Hubert Münzer zu recherchieren, er selber kann sich einfach nicht erinnern.«
Hans-Ulrich erschrak. Tatsächlich war er in den Fall Münzer längst schon selber verstrickt. Und es gelang ihm nicht, das Bündel von Motiven, die vielfältigen Gründe zu durchschauen, die ihn daran hinderten, Anton endlich darüber zu informieren: über die heimlichen Nachforschungen; über die nicht ganz üblichen Wege, die er gegangen war; über die hohe Summe, die er ohne Rücksprache für die Dokumente gezahlt hatte, vor allem aber auch über den Inhalt der Dokumente, die sich jetzt in seinem Besitz befanden. Seine Gier nach Beute, die Aussicht auf Einblick in die geheimen Aufzeichnungen dieses August Lowicki, eines Spitzels, der im Auftrag der Partei alles und jeden bespitzelt hatte, vor allem die eigenen Parteimitglieder, und somit auch die Geschäfte des Hubert Münzer, diese gierige Neugier hatte ihn das ganz und gar Unkorrekte seiner Handlungsweise beiseiteschieben
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