Goldmarie auf Wolke 7
traurig. Es war schade, dass Lykke und ich solche Schwierigkeiten miteinander hatten. Warum konnten wir trotz der durchaus normalen Streitereien nicht füreinander da sein wie andere Geschwister auch? »Jammre nicht rum, das kann man alles üben«, entgegnete Lykke barsch, obwohl es in ihren Augen merkwürdig glitzerte. »Aber wo du gerade hier herumstehst: Bist du nun mit diesem Sören zusammen, der dich nach deinem Ohnmachtsanfall wieder wach geküsst hat?«
»Erstens hat Sören mich nicht geküsst, sondern mir nur Tropfen verabreicht, und zweitens bin ich nicht in ihn verliebt oder sonst etwas in der Art. Aber seit wann interessierst du dich für meinen Freundeskreis?« Lykke lächelte und schob sich eine Strähne des schwarz gefärbten Ponys aus der Stirn. Früher war der mal hell gewesen. Bis sie plötzlich auf den Trip gekommen war, die Farbe Blond würde falsche Signale aussenden. »Macht man das denn nicht so unter Geschwistern?«, fragte sie mit unschuldigem Augenaufschlag. Wollte sie mich auf den Arm nehmen? Ich schüttelte den Kopf und war kurz davor, wieder rauszugehen. Was auch immer sie vorhatte, gesundes Misstrauen konnte bestimmt nicht schaden. »Wenn ich ehrlich bin, wollte ich wissen, ob es dir … ob du … also ob du etwas dagegen hättest, wenn ich Sören mal anrufe. Wir haben letztens etwas länger telefoniert, als du spätabends noch weg warst, und das hat ziemlich Spaß gemacht«, fügte Lykke dann etwas weniger forsch hinzu.
Ich erinnerte mich an Sörens Worte. Er hatte gesagt, dass hinter Lykkes Fassade eine ganz andere, weitaus hübschere Person steckte. Sah er womöglich mehr in ihr als ich?
»Ruf ihn ruhig an, ich hab nichts dagegen«, antwortete ich und dachte an Niki. Komisch, dass sich diese Situation innerhalb weniger Tage wiederholte, nur unter anderen Vorzeichen. Dann ging ich aus dem Zimmer. Schließlich hatte ich heute noch so einiges zu tun: Erstens Morten anrufen und zweitens mir überlegen, was ich am Sonntag zum Rodeln anziehen wollte.
33. Marie Goldt
(Dienstag, 6. Dezember 2011 – Nikolaustag)
Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, rieb ich mir verwundert die Augen. Auf der Fußmatte standen tatsächlich einer von Lykkes und einer von meinen Stiefeln, beide gefüllt mit Tannenzweigen und Süßigkeiten. »Alles Liebe und Gute«, ertönte es fröhlich hinter mir. »Ich hoffe, du bist noch nicht zu alt für diese Art von Überraschung.« Ich umarmte Kathrin, die heute ausgesprochen gut aussah, und konnte mein Glück kaum fassen. Seit Papas Tod hatte ich kein Nikolausgeschenk mehr bekommen. Verzückt nahm ich eine Packung Zimtsterne, meine Lieblingslebkuchen (die ohne diese nervigen Orangeat- und Zitronat-Gnubbel!) sowie ein Parfüm heraus. »Was ist denn hier los?«, wollte nun auch Lykke wissen und stieß einen Freudenschrei aus, als sie sah, dass in beziehungsweise neben ihren Boots Zartbitterschokolade Chili, ein Päckchen Yogi-Tee und ein neuer Thriller steckten. »Ich wollte euch eine Freude machen und heute Abend mit euch feiern, dass ich endlich einen Vertrag bekommen habe. Ich soll Beraterin bei einer neuen Casting-Show werden, die in Hamburg aufgezeichnet wird. Wie findet ihr das?« Es war unheimlich schön zu sehen, wie Kathrin strahlte und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wieder halbwegs glücklich aussah. »Und das Tollste ist, dass es sein kann, dass ich diesen Job auf Jahre sicher habe, vorausgesetzt, die Show wird ein Erfolg.«
»Was bei dem Überangebot an Sendungen dieser Art eher unwahrscheinlich sein dürfte«, murmelte Lykke. »Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt!« Ich boxte ihr unsanft in die Rippen, eine Botschaft, die zum Glück ankam. »Okay, das war jetzt unsensibel, Mum, sorry dafür. Ich freue mich natürlich für dich. Toll, dich mal wieder lächeln zu sehen. Und danke für das Buch, jetzt hab ich endlich wieder was zu lesen.« Kathrin tat so, als sei die Bemerkung ihrer Tochter an ihr angeprallt, ohne Spuren zu hinterlassen. »Also ihr beiden. Worauf habt ihr heute Abend Lust? Wollen wir zum Inder oder zum Thai?« – »Zum Inder«, riefen Lykke und ich im Chor, weil wir beide das Restaurant Maharaja in der Detlev-Bremer-Straße liebten und seit einer Ewigkeit nicht mehr dort gewesen waren. Doch dann mussten wir uns beeilen, um rechtzeitig zur Schule zu kommen.
»Das klingt ganz so, als seien du und die Menschen in deinem Umfeld alle auf einem guten Weg«, befand Dr. Willibald Hahn und rieb sich zufrieden das Kinn. Ich
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