Goldmond
freien Menschenfürsten, gegen die Herrschaftsanspruch und die Übermacht der Elben zu kämpfen. Sinan hatte sich von ihr losgesagt, als er erkannte, dass sie den Wind Telarions in sich trug, und dennoch hatte Sanara den Bruder geliebt und ihm Glück und die Erfüllung seiner Sehnsüchte gewünscht. Und das tat sie noch immer.
Er war der Einzige ihrer Familie, den sie noch lebendig geglaubt hatte. Der ihr Heimat bedeutete.
Nun war er tot, und dass es ihr Geliebter war, der ihn getötet hatte, brach Sanara das Herz.
Sie schlug die Hände vors Gesicht und unterdrückte ein Schluchzen. Sie spürte kaum, dass die Knie unter ihr nachgaben und sie zu Boden sank.
Eine Woge aus Trauer schlug über ihr zusammen und riss sie mit sich fort.
Kapitel 11
»Amdiri verließ den Thautar, ihren Geliebten, um ihrer Sippe Wasser in die Wüste zu bringen. Doch sie versprach, binnen eines Jahres wiederzukommen und dann mit ihm in den Wäldern zu leben, bis Akusu sie in seine Feuer aufnehme. Zuerst war die Freude bei ihrem Volk groß, als sie dorthin kam und ihnen das so lang ersehnte Wasser brachte. Doch dann erwachte bei einigen ihrer Sippe der Neid darüber, dass die Kinder des Vanar von dem blauen Element so viel hatten und sie selbst so wenig. Sie wollten in den Krieg ziehen, und als Amdiri das zu verhindern versuchte, schlugen und vertrieben sie sie aus ihrer Mitte, und Amdiri musste die Sippe verlassen. Man beschuldigte sie, ein Geschöpf des Wassers geworden zu sein, denn in ihren feurig goldenen Augen schimmerte die Weite des Meeres, und auch die Sandechse, die man ihr als Kind in die Haut gebrannt hatte, hatte blaue Schuppen bekommen. Sie hatte den Sinn verloren, der nötig war, sich in der Wüste zurechtzufinden, und so verirrte sie sich und konnte Thautar nicht mehr finden.«
Von den Kriegen der Elben und Menschen
Vierte Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
S anara?«
Die Stimme wehte wie von fern an ihr Ohr. Als käme sie nicht aus der wirklichen Welt. Es war, als säße Sanara auf einem Felsen in einem Flammenmeer der Trauer. Wellen aus heißem, kochendem Magma brandeten mit aller Macht gegen die Insel, auf der sie kauerte, jeden Augenblick stiegen die Glutfontänen höher. Sie würden sie bald erreicht haben und vom Felsen, dem einzigen Halt, der sich ihr in diesem endlosen Lavameer bot, herunterspülen, und dann wäre sie verloren.
»Shisani Sanara?«
Sie hörte nicht darauf. Es fühlte sich an, als habe man ihr etwas aus dem Leib gerissen, das zuvor untrennbar Teil von ihr war.
Es ist wie damals.
Sanara ist wieder ein Kind von nicht einmal einem Dutzend Jahren.
Sie sieht sich um. Sie ist im Tempel des Abends, an der Westküste des Saphirmeers. Ein Ort, der Akusu, dem Dunkelmond, heilig ist.
Der Gebetsraum, in dem sie steht, ist blutig rot. Nicht, weil die Purpursonne auf den Granitboden scheint oder weil sie ihn durch den Zipfel eines roten Mönchsgewands sieht, dessen Besitzer sie zu ihrem Schutz unter sich begraben hat, sondern weil er rot ist vom Blut derer, die ihre Familie waren – ihre Freunde, ihre Lehrer, ihre Erzieher – und deren erschlagene Körper hier seelenlos vor ihr liegen.
Tränen brennen in ihren Augen, das Entsetzen über all den Tod schnürt ihr die Kehle zu. Sie ist allein. Alle, die sie kannte, sind nicht mehr. Sie will aufschluchzen, doch es geht nicht. Trauer und Verzweiflung sind zu groß. Es ist, als passe all dieser Zorn, dieses Leid angesichts der Toten nicht in sie hinein, aber finde auch keinen Weg aus ihr heraus.
Da spürt sie, wie zwei Arme sich um sie schlingen. Sie sind kraftvoll, warm und drücken sie sanft an eine ebenso kraftvolle und warme Brust. Ein Herz schlägt darin, fest und regelmäßig. Finger legen sich beinahe zärtlich auf ihre Augen, sodass sie das Entsetzliche nicht mehr mit ansehen muss.
»Weine nicht mehr, kleine Schwester. Ich bin da. Ich verspreche es. Weine nicht. Ich lasse dich nicht allein.«
Jemand nimmt ihre Wangen in die Hand und küsst ihr die Tränen fort. Als sie aufsieht, erblickt sie ein lächelndes Gesicht. Es ist von Sommerflecken übersät, die Augen sind feuergelb wie die ihren.
Es ist Sinan. Ihr Bruder.
Sie weiß, er wird sein Versprechen nicht brechen. Er wird immer bei ihr sein. Er wird immer auf sie achtgeben.
»Weine nicht, Sanara. Ich bin bei dir. Immer.«
Ein Arm hatte ihre Schultern umfasst, ihr Gesicht lag an der Beuge eines Nackens. Die Enden von Haarsträhnen kitzelten an der Stirn. Eine Hand legte sich
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