Goldmond
tröstend auf ihre tränennasse Wange.
»Weine nicht. Ich bin bei dir.«
»Ich weine nicht«, flüsterte Sanara mit geschlossenen Augen. »Ich weine nicht.«
Es war, als fließe Frische in sie. Es besänftigte das Toben und Brüllen der flammenden Trauer. Das Feuermeer verschwand nicht, doch es wurde durchsichtig, dünner, leiser, bis es nur noch ein Schleier war zwischen ihr und der wirklichen Welt.
Sanara spürte, wie ihr Körper Luft holte. Luft, die nach feuchtem Laub und regennassen Blüten roch und in die sich dünne Fahnen trockenen Rauchs von verbranntem Yondarharz mischten. Sie blinzelte. Der Duft und die Frische weckten Erinnerungen. Doch sie waren zu flüchtig, als dass sie sie hätte festhalten können. Es war, als wispere ihr der Morgenwind etwas zu.
»Weine nicht, Sanara.«
Die Stimme, die ihr das zuflüsterte, war sanft und tröstlich. Kraftvolle Arme hatten sie ergriffen und an einen Körper gezogen, der kälter war als jener in ihrer Erinnerung. Doch auch in ihm schlug ein Herz in einem beruhigenden Takt. Für einen Moment glaubte Sanaras Seele, der Bruder habe sie in den Arm genommen.
»Weine nicht, Geliebte«, murmelte eine Stimme an ihrem Ohr.
Ihr Blick schnellte aufwärts – doch statt in feuerfarbene Augen sah Sanara in hellgrüne, über denen dichte schwarze Brauen lagen und die zu einem blassen, schönen Gesicht gehörten. Eine hohe Stirn war darüber zu sehen, in die rabenschwarze Haarsträhnen fielen.
Ein Elb.
Angst packte Sanara, als sie sich bewusst wurde, dass es nicht Sinan war, an dessen Brust sie lag. Nicht er hatte sie in den Armgenommen, es war ein Elb. Einer von dem Volk, das dem ihren ein Feind war, das die Menschen unterdrückte und ihnen Leid zufügte, wo immer es konnte. Einer von dem Volk, dessen König ihre Familie vor ihren Augen getötet und das den Tod eines jeden zu verantworten hatte, der für Sanara je von Bedeutung gewesen war.
Sie riss sich los und wich zurück. Die Berührung des Elbs weckte ein Entsetzen in ihr, das sie zu überwältigen drohte, und so sah sie nicht das des Elbs, als sie seinen Trost von sich stieß.
»Ich frage mich, wie du so eine berühren kannst, Neffe.«
Sanara fuhr herum.
Die letzten Reste des Schleiers aus Tränen und Trauer zerrissen, als die Worte wie eine Klinge durch sie hindurchfuhren.
Der sie ausgesprochen hatte, stand ein paar Schritte entfernt, hinter dem Elb, der vor ihr kniete und der die Arme, die sie gehalten hatten, nun sinken ließ. Sanara schluckte, dann wurde sie sich bewusst, dass sie auf Brettern aus poliertem Yondarholz kauerte, das dunkel war wie die rauchigen Schlieren in ihrer Seele.
Ihr wurde bewusst, dass ihr Gesicht nass von Tränen war. Hastig rieb sie sich die Wangen. Sie schämte sich der Tränen nicht, doch ihr Stolz verbot ihr nun, ihr Elend und ihren Kummer vor diesen beiden Elben zu zeigen, diesen Sklavenhaltern und Tyrannen, die alles verachteten, was ihr heilig war. Sie erhob sich langsam. Der Körper folgte dem Befehl nur widerwillig, doch Sanara zwang sich, den Blick erneut zu heben und dem Sprecher ins Gesicht zu blicken.
Der Elb vor ihr sprang bei den verächtlichen Worten auf. Jeder Muskel seines Körpers schien vor Zorn zu beben. Sanara starrte ihn an. Sie wusste jetzt wieder, wer er war: Telarion Norandar, der Elb, dessen Wind sie in sich trug. Wieder tauchten Bilder in ihr auf, sein Lächeln, sein zärtlicher Blick, der auf ihr ruhte, sein Körper an ihrem, das Kitzeln in der Handfläche, wenn sie über seine kurzen Haare strich und es sich anfühlte, als hielte sie Rabenfedern in den Fingern.
Sanara wusste, diese Bilder hätten etwas auslösen müssen in ihr. Sehnsucht, ein Verlangen, Freude, ein offenes Herz. Vielleicht war das alles noch da, aber glühende Feuerströme der Trauer und des Zorns auf ihn und sein Volk flossen jetzt darüber hinweg. Sie wagte nicht, in die flüssige Magma zu greifen und diese Gefühle hervorzuholen, um sie so vor dem Verbrennen zu retten.
Dann war der Moment vorbei. Vor ihr stand nur noch ein Elb, ein kalter, hochmütiger Fürst seines Volkes, der für Dunkelmagier nichts bedeutete außer Tod und Leid und einer Kälte, die Seelen erfrieren ließ.
Halb erwartete sie, er würde sich nun an die Seite des Älteren – seines Onkels – stellen, doch mit Erstaunen hörte sie, dass sich sein Zorn gegen diesen und nicht gegen sie richtete.
»Was soll das, Onkel? Ist es nicht unter Eurer Würde, so verächtlich über eine Trauernde zu sprechen? Sie hat
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