Goldmond
statt ihn zu suchen und selbst zu finden.
Bisher hatte sie die Orte und Menschen gekannt, die zu sehen sie gekommen war. Es war leicht gewesen, die Nebel zu teilen und der ihnen innewohnenden Magie zu befehlen, sich zu formen. Irams Kraft hatte ihr dabei geholfen. Musste es über weite Strecken hinweg geschehen, war es Iram, der ihr die nötige Kraft verlieh, ihre Macht auf diese Weise zu nutzen. Sein Feuer war stark genug, ihrer Gabe genug Energie zu geben, sodass sie sich weit entfernt eine Gestalt hatte geben können, auch wenn sie dort jeden anderen nur als einen Schatten im Nebel wahrnahm.
Doch nun gab ihr die Kraft des Musikanten mehr als nur Stärke. Wo früher Nebel sie wie eine Decke umgeben hatte, die jede Wahrnehmung bis auf einen verwaschenen Eindruck von Magie gedämpft hatte, schien sich die Magie nun gleichzeitig zu konzentrieren und auszudehnen. Klänge wurden zu Funken, die sich zu Gestalt und Form zusammenfügten.
Staunend ging Ireti ein paar Schritte vorwärts. Freude wallte in ihr auf, als ihr bewusst wurde, dass sie die Macht hatte, denKlängen und Funken zu befehlen. Was früher Nebel gewesen war, war hier Essenz.
Sie sang einige der Worte, die man ihr als Kind beigebracht hatte. Sie sollten einer Seele, die hier war, Gestalt verleihen. Ireti sang von reinem Feuer, einem Feuer, das warm war und aus farangelben Flammen bestand, das von einem leichten Wind geschürt wurde. Sie sang davon, dass die Flammen, die sie sah, dunklen Rauch ausstießen, und stellte sich vor, dass sich Wind, Rauch und Feuer zu einer Gestalt zusammenfügten.
Erst waren da nur Klänge, einzelne Töne. Doch Ireti konnte sie sehen, konnte erkennen, wie die Töne, je voller sie gesungen wurden, umso kräftiger leuchteten und zu Funken wurden, die sich ebenfalls fanden und schließlich das taten, was sie, die Königin, ihnen befahl: ein Seelenbild erschaffen.
Das Bild einer jungen Frau, die die Kleidung der Weisen vom Tempel der Quelle trug. Sie schien aus gelben Flammen geschaffen, die einen grünen Kern besaßen, und lehnte zusammengesunken an einem Felsen.
Als die Königin näher an die junge Frau herantrat, bemerkte sie, dass ihr eigener Blick, von der Kraft des Musikanten gestärkt, den Schleier der Magie durchdrang und auch die Wirklichkeit sehen konnte. Es war eine neue Wahrnehmung, und Ireti fragte sich, ob der Musikant das Jenseits wohl immer so sah.
Unwillkürlich wandte sie sich um und warf einen Blick hinter sich. Auch dort war der Schleier dünn, doch es war kaum etwas zu sehen; nur die Ahnung eines Schattens war zu erkennen, eine Gestalt, die elend an etwas gelehnt war und sich kaum rührte. Sie glomm in einem blassen Rot wie die letzte Glut eines verbrannten Holzstücks. Es war Ronan, der immer noch bewusstlos an der Mittelstange ihres Zelts lehnte.
Sie sah an sich hinab. Ihre Gestalt leuchtete in einem satten Violett, das nicht mehr nur bläulich glomm, sondern mit einem Rotstich schimmerte.
Die Magie des Musikanten brannte jetzt in ihr.
Ireti trat noch einen Schritt näher an die Feuermagierin heran. Die Schleier, die sie umgaben, hoben sich, und Ireti erkannte, dass der Körper der Feuermagierin still auf dem Boden an einem der Felsen lag, die kreisförmig um den Altarstein angeordnet waren. Auch das Seelenbild schien dort zu liegen, es nahm so viel Raum ein wie der Körper, zu dem es gehörte, wenn auch in einer anderen Dimension.
Ireti lächelte.
Nun erkannte sie auch Iram. Er befand sich im gleichen Raum wie dem, in dem Ireti selbst war: Das Allerheiligste des Tempels der Tiefe, hinter der großen Halle, in der die Statue des Syth stand. Seine Kraft leuchtete in einem dunklen Grün, so dunkel, dass es beinahe blau schien, Flammen in Form von Bäumen und Laub schimmerten darin. Er stand etwas von der Siwanonstochter entfernt und wartete, bis sein Teil des Rituals verrichtet werden konnte.
Beide befanden sich in einem Raum, den vielleicht Akusu selbst für den Schöpfervater gemacht hatte. Auf den ersten Blick wirkte er, als habe nur ein besonders kunstfertiger Erdmagier den Fels modelliert. Und doch konnte Ireti mit der besonderen Kraft, die der Musikant ihr gegeben hatte, erkennen, dass das Allerheiligste dieses Tempels von keinem der Geschöpfe des jüngeren Mondes geschaffen worden war. Es war mehr. Der Fels, in dem sich die Halle befand, war massiv und schien Äonen alt und doch ganz neu, als sei er gerade erst aus den Klängen und der Magie der Leere geformt worden. Es war, als sei die
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