Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
Atem ging schwer. Sie schien zu weinen. »Ich halte das nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr! Mach den Fernseher an. Sie bringen gerade einen Sonderbericht in den ›Südtirol Nachrichten‹. Ruf mich danach zurück.«
Bevor Vincenzo fragen konnte, was geschehen war, hatte sie schon aufgelegt. Er rannte in die Wohnung und schaltete die »Südtirol Nachrichten« ein. Was er sah, paralysierte ihn. Mit offenem Mund starrte er auf den Bildschirm, auf dem oben rechts zwei Bilder eingeblendet waren. Das eine zeigte Dottore Crescente Albertazzi, auf dem anderen lächelte ihm ein alter Bekannter entgegen. Das Monster von Bozen. Wie in Trance stellte Vincenzo die Lautstärke höher.
»Heute Mittag ist ein als ›Das Monster von Bozen‹ bekannt gewordener Serienmörder aus der Psychiatrie entkommen. Er hat Bozen vor knapp zwei Jahren in Angst und Schrecken versetzt. Für seine spektakuläre Flucht hat er die tägliche Visite seines behandelnden Arztes, Dottore Crescente Albertazzi, zugleich Leiter der Klinik, genutzt. Wie es ihm gelang, den mehrfach gesicherten Trakt seiner Hochsicherheitszelle zu überwinden, ist noch unbekannt. Als sicher gilt hingegen, dass er Albertazzi angegriffen und ihm das Genick gebrochen hat. Der Psychiater verstarb an Ort und Stelle. Mehrere Mitarbeiter versuchten vergeblich, den Mann aufzuhalten. Zwei von ihnen wurden dabei verletzt, einer schwer. Augenzeugen berichten, dass der Killer über das Dach des viergeschossigen Gebäudes entkommen ist. Wie es ihm gelungen ist, zuerst auf das Dach und schließlich in den Wald zu fliehen, ist ebenfalls noch ungeklärt. Ich spreche jetzt mit dem Vice-Questore der Questura Bozen, Dottore Allessandro Baroncini.«
Für die beiden Bilder erschien jetzt Baroncinis Konterfei auf dem Bildschirm.
»Guten Abend, Frau Thoma.« Seine Stimme klang dumpf, er sprach wohl durch ein Telefon.
»Guten Abend, Herr Baroncini. Gibt es nach diesem spektakulären Ausbruch schon Neuigkeiten? Konnten Sie den Flüchtenden fassen?«
»Nein, leider fehlt jegliche Spur von ihm. Wir haben sofort eine weitreichende Fahndung eingeleitet, aber bislang ohne Erfolg.«
»Wie gefährlich ist dieser Mann Ihrer Einschätzung nach?«
»Sehr gefährlich. Wie Sie wissen, hat er mehrere Morde begangen. Er gilt als skrupellos. Ich bitte die Südtiroler Bevölkerung um äußerste Achtsamkeit. Wenn Sie von jemandem angesprochen werden, den Sie nicht kennen, verhalten Sie sich ruhig und verständigen dann sofort die Polizei. Versuchen Sie sich möglichst stets unter Leuten aufzuhalten. Wir setzen alle zur Verfügung stehenden Einheiten ein, um den Mörder so schnell wie möglich zu fassen. Spezialeinheiten und Hubschrauberstaffeln sind bereits angefordert.«
»Haben Sie eine Erklärung dafür, wie es zu dem Ausbruch kommen konnte? Immerhin gilt das Sicherheitssystem unserer Psychiatrie als das beste Italiens.«
»Nein, leider nicht. Momentan ist die Spurensicherung vor Ort. Morgen werde ich Ihnen vermutlich mehr sagen können.«
»Rechnen Sie mit weiteren Straftaten des Mannes? Halten Sie es für möglich, dass Commissario Bellini, der seinerzeit für seine Verhaftung verantwortlich war, in sein Visier rückt?«
»Er ist unberechenbar. Allerdings vermuten wir eher, dass er versuchen wird unterzutauchen, vielleicht sogar das Land zu verlassen. Wir haben bereits sämtliche Flughäfen, Bahnhöfe et cetera informiert. Es ist wahrscheinlich nicht damit zu rechnen, dass er weitere Straftaten in Südtirol begehen wird. Mein Appell an die Bevölkerung ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
»Vielen Dank, Herr Baroncini.«
Die Moderatorin schaute wieder direkt in die laufende Kamera. Ein neues Bild erschien am Bildrand. Es zeigte einen Mann, den Vincenzo nicht kannte.
»Auch in den letzten Monaten wurde Südtirol gleich mehrfach zum Schauplatz spektakulärer Verbrechen. In unserer morgigen Sondersendung berichten wir über mehrere zusammenhängende Todesfälle im Zusammenhang mit dem Goldfund, über den unser Sender bereits berichtet hat. Und noch eine letzte Information: Die Leitung der Bozner Psychiatrie übernimmt indes Dottore Adriano Galante, der die neue Psychiatrie vor Albertazzi bereits kommissarisch geleitet hat. Zuletzt war er Leiter der Psychiatrie in Verona. Wir werden unsere Zuschauer über jede Entwicklung in diesem Fall auf dem Laufenden halten.«
Vincenzo schaltete den Fernseher aus, dann fiel ihm die Fernbedienung aus der kraftlosen Hand. Er fühlte sich vollkommen leer. Warum hatte
Weitere Kostenlose Bücher