Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
einzuladen. Die Folgen könnten verheerend sein. Allein dieser Abend in trauter Zweisamkeit hatte ihr Gewissen wieder auf den Plan gerufen. Sie ging in ihre Wohnung und griff zum Hörer, ohne den Mantel abzulegen.
»Gianna! Das ist aber ein Überraschung, ich freue mich!«
Sie hätte es nicht begründen können, warum sie Vincenzo mitten in der Nacht anrief. Es war so etwas wie ein Reflex. »Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht. Ein bisschen spät, ich weiß …«
»Für dich ist es nie zu spät. Du kannst mich immer und überall anrufen, das weißt du doch. Mir geht es gut. Ich bin gerade im Pflerschtal beim Skifahren. Herrliches Wetter, und der Schnee ist sagenhaft.«
Immer und überall anrufen. Verdammt noch mal, warum machte er das? Warum war er so nett, freundlich, so lieb? Jede Frau wollte einen Mann, der so auf sie einging, doch in diesem Moment hätte Gianna sich mehr Härte gewünscht. Sollte er ihr ruhig Rücksichtslosigkeit vorwerfen, sie abwürgen und auf morgen vertrösten. Das wäre allemal besser gewesen als dieses bedingungslose Einfühlungsvermögen, das ihr den Hals zuschnürte.
Sie redeten eine Weile, wie immer in der letzten Zeit vor allem über belanglose Dinge, das schöne Pflerschtal, das auch ihr gefallen würde, der tragische Brand auf einem abgelegenen Hof. Immerhin unterließ es Vincenzo, sie auf ein mögliches Treffen anzusprechen, und erzählte ihr stattdessen, dass er dem Alkohol vorläufig entsagt habe. Scheinbar war er auf dem besten Weg, aus seinem Tal der Depressionen hinauszufinden. Das zu hören, ließ sie erleichtert durchatmen. Erst jetzt merkte sie, dass sie sich die ganze Zeit für Vincenzos Verfassung verantwortlich gefühlt hatte.
Nach weniger als zehn Minuten beendete sie das Gespräch. Eine bleierne Müdigkeit hatte sie übermannt. Ohne sich auszuziehen, ließ sie sich auf ihr Bett fallen und schlief augenblicklich ein. Ihr letzter Gedanke war, dass sie Ruhe brauchte. Sie würde sich die nächsten Wochen nicht bei Vincenzo melden.
12
Pflerschtal, Samstag, 4. Februar
»Sind Sie so weit?« Vincenzo schaute auf seinen Höhenmesser. Achtzehn Uhr, die perfekte Zeit für »Hansis Stodl«. Er hatte sich mit Mauracher in der Suite des Hotels »Tribulaun« einquartiert. Es hatte eine Weile gedauert, bis er eine passende Unterkunft ausfindig gemacht hatte, die über zwei Schlaf- und Badezimmer verfügte, aber die Suite war perfekt. Er hatte die Unterkunft für das erste Wochenende gebucht, an dem sie frei war. Er stand nicht unter Zeitdruck.
Nach Marzolis Andeutungen war Vincenzo verunsichert. Auf der Fahrt hatte er Sabine Mauracher beobachtet, jedes ihrer Worte analysiert. Schwer zu sagen, ob da bei ihr mehr war als nur kollegiale Sympathie. Auffallend war zumindest, wie selbstverständlich sie bereit gewesen war, ihr Wochenende zu opfern. »Natürlich bin ich dabei, Commissario! Ich liebe Skifahren. Gibt es da auch schwarze Pisten?«
Vincenzo hatte sich vorgenommen, sich Mauracher gegenüber so offiziell wie möglich zu verhalten. Das gemeinsame Zimmer ließ sich nicht vermeiden, wollten sie nach außen als Paar auftreten, aber durch die Aufteilung der Suite hatte jeder noch seine Privatsphäre.
Am Freitag waren sie spätnachmittags angekommen und zu einem Italiener in der Nähe essen gegangen, um ihr Vorgehen zu besprechen. Heute waren sie zunächst Ski gefahren, natürlich in trauter Eintracht. Jeder sollte sie so sehen. Gianna hatte er bei ihrem gestrigen nächtlichen Telefonat sicherheitshalber gar nichts von Maurachers Anwesenheit erzählt. Seine Freundin stand noch immer so sehr unter Schock, dass ihr eine solche Information womöglich den Rest gegeben hätte. Er musste sie noch mit Samthandschuhen anfassen. Das war der einzige Weg, sie wieder an sich zu binden, ihre Liebe neu zu entfachen.
»Ich bin fertig. Frauen müssen sich ja schließlich hübsch machen«, ertönte Maurachers Stimme aus den Tiefen ihres Bades, bevor sie Sekunden später vor ihm stand.
Vincenzo erkannte sie kaum wieder. Ihren ansonsten topfartig fallenden längeren Pagenschnitt hatte sie mittels einer kompliziert wirkenden Hochsteckfrisur in eine Kunstform verwandelt. Das erste Mal, seit er sie kannte, hatte sie Lippenstift und Rouge aufgetragen, sodass das Make-up ihren Typ in Perfektion betonte: der Lippenstift dezent rosa, das Rouge passend zu ihren Sommersprossen, die Augenlider dunkel nachgezogen. Statt schlabbriger Jeans und Pullover trug sie ein auffallendes rotes Kleid,
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