Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
und verfluchte sich. Er hasste es, wenn er bei Befragungen unkonzentriert war. Dieser enervierende Beziehungsstress.
Er wollte seinen Fauxpas gerade eingestehen, als Wachtler schon antwortete. »Fünf Kilo? So wie ich den Stollen in Erinnerung habe, haben wir uns nur an dessen Anfang aufgehalten und haben in kurzer Zeit eine ziemlich beträchtliche Menge an Gold entdeckt, von daher müsste dort noch viel mehr liegen. Und dazu wahrscheinlich auch etliche Kultgegenstände. Schon der Goldring, den wir beim ersten Mal entdeckt haben, roch gewaltig nach Tutanchamun.«
Vincenzo fragte Wachtler, wie eine große Goldader im Fels aussehen mochte. Der Mann schien ein wandelndes Lexikon zu sein. Er beschrieb seinen Besuchern genau, wie das Gold sich wie Tupfer an Bergkristalle schmiegte, wie es sich in die Adern der Felsen drängte. Im Stein verschwand es und tauchte vielfach massiver wieder auf, wenn man es zu Hause herausarbeitete. Berggold war Gold von höchster Qualität, da es im Vergleich zu anderen Goldarten kaum Verunreinigungen aufwies. Schon beim Fund glänzte es in herrlichen Farben. Seine Struktur, sein Anblick, die Art, wie es mit dem Stein verbunden war, machte es bei Liebhabern zu einem besonderen Objekt der Begierde.
Die Polizisten hatten Wachtlers Ausführungen mit offenem Mund gelauscht. Ihnen erschloss sich eine bis dato vollkommen unbekannte Welt. »Und was ist dieses Gold wert?«, wollte Marzoli wissen.
»Das hängt vom aktuellen Goldpreis ab«, erläuterte der Museumsbesitzer. »Momentan würde ich das Kilo auf rund vierzigtausend Euro schätzen.«
Das wiederum passte zu Albers Angaben. Fünf Kilogramm Gold hatten ihr zufolge zweihunderttausend Euro gebracht.
»Allerdings«, fuhr Wachtler fort, »hat Berggold,wie schon erwähnt, einen enorm hohen Sammlerwert. Da kann man meine Zahl auch mal verdreifachen. Und das ist noch nicht alles. Wenn ihr in einen Stollen vordringt, der Hunderte von Jahren alt ist, könnt ihr davon ausgehen, dass ihr nicht nur Berggold findet, sondern auch andere Dinge, wie zum Beispiel Heiligenstatuen. Die Menschen waren damals sehr abergläubisch. Sie haben aus dem Gold Statuen von der Mutter Gottes gefertigt und sie in eigens dafür in den Fels gehauene Nischen gestellt, damit sie über die Bergleute wachen sollten. Solche Fundstücke sind mit Geld gar nicht zu bezahlen. Ihr Wert ist unschätzbar.« Er sah auf seine Uhr. »Ich könnte euch noch viel dazu erzählen, wenn es für eure Ermittlungen von Bedeutung ist, aber leider habe ich meinen Kindern gerade heute versprochen, mit ihnen noch in die Berge zu gehen. Wir wollen zum Pragser Wildsee.«
Vincenzo sah zur Uhr. Schon fast zwei. Bis sie zurück in Bozen waren, würde es drei sein. Zum Glück hatte er die Sachen für das Wochenende schon morgens in seinen Alfa gepackt, er würde also direkt losfahren können. Bis Mailand waren es knapp dreihundert Kilometer. Wenn er gut durchkam, würde er zwischen sechs und sieben bei Gianna sein. Den Tisch bei »Trussardi« hatte er für halb acht reserviert. Die Gedanken an Gianna, die Mischung aus Vorfreude, Unsicherheit und Angst, ließen ihn seinen Fall für einen Moment fast vergessen. »Gut, Herr Wachtler. Ich habe heute selbst noch eine lange Fahrt vor mir. Darf ich Sie in der nächsten Woche anrufen, wenn ich noch ein paar Fragen habe?«
»Natürlich, jederzeit. Und wenn ihr in der Nähe seid, könnt ihr mich auch gern wieder besuchen. Dann zeige ich euch, wie das Gold aussieht, wenn man es findet.« Wachtler hatte die beiden Polizisten konsequent geduzt. Es schien, als würde er in seiner Art zu denken die Menschen nicht in Du und Sie unterteilen.
Vincenzo war die Duzerei einerseits unangenehm, andererseits empfand er große Sympathien für Wachtler. Er spürte zwischen sich und ihm die Art von Chemie, die nur Menschen kennen, welche eine Leidenschaft, in ihrem Fall die Liebe zur Natur, verbindet. Vincenzo hatte gut verstanden, dass Wachtler gern allein in den Bergen unterwegs war. »Ich bin das nächste Mal wahrscheinlich schon am Sonntag in der Nähe. Ich möchte ins Ahrntal, um mit Alexander Thaler zu sprechen.«
Michael Wachtler schien auch keinen Unterschied zwischen Werktag und Wochenende zu kennen. »Kein Problem. Komm einfach danach vorbei, dann kannst du mit uns essen. Vorher zeige ich dir noch mein Museum, und vor allem das Gold, und wenn du dann nach Hause fährst, bist du sozusagen Experte. Und grüß Alexander von mir!«
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A 22 Richtung
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