Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
Ausbesserungsbemühungen ansah, dass die letzte Renovierung schon einige Jahre her war. Dem Gast, der hier nur gemütlich sitzen und gut essen wollte, fiel das vielleicht nicht auf, aber Luigi besaß mittlerweile den Blick des Fachmanns. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Schäden so erheblich waren, dass sie selbst dem weniger strengen Beobachter nicht mehr verborgen bleiben würden.
Dabei war der Raum eigentlich sehr schön. Seine Höhe reichte bis zum Dachfirst, zu dem hin er spitzwinkelig zusammenlief. Von den Stützbalken hingen schwere, gusseiserne Kronleuchter herab, die mit echten Kerzen den Raum in ein behagliches Licht tauchten. Der Boden bestand aus Holzdielen in einem dunklen Farbton, der sich in den schweren Brokatvorhängen wiederfand. Die Tische zierten cremeweiße Decken, die bequemen Stühle waren mit Stoff in derselben Farbe bezogen worden. Der Gastraum war in zwei Ebenen aufgeteilt. Von der unteren Ebene ging der Zugang zur Küche ab, die erhöhte betrat man über drei flache Stufen. Zusätzlich gab es im unteren Bereich noch drei Separees, in denen sich jeweils kleine Zweier-Tische für Verliebte oder aber Geschäftspartner befanden. Der Unternehmer saß mit seinen Kunden auf der oberen Ebene am hintersten Tisch.
Luigi brachte neun Gläser an den Tisch, von dem aus man einen traumhaften Blick auf den Tribulaun hatte, obwohl der Unternehmer nur sechs Kunden dabeihatte. Doch Christine saß schon bei den Männern, und auch Luigi sollte sich zu ihnen gesellen. So vielen Gästen musste man auch die entsprechende Aufmerksamkeit entgegenbringen.
»Meine Herren, das ist Signor Luigi Ferrari, mein Chef de Cuisine. Ein Meister seines Fachs, wie Sie gleich selbst feststellen werden. Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir«, Alber lächelte bedeutungsvoll, prostete ihren Gästen zu und nahm einen großen Schluck Champagner, »dass uns in Kürze ein Restauranttester beehren wird. Ich zweifle nicht daran, dass sich Luigi in nicht allzu ferner Zukunft über seinen ersten, mehr als verdienten Stern freuen wird.«
Luigi sah seine Chefin von der Seite an. Unglaublich, wie gut sie lügen konnte. Sicherlich, die Küche hatte nicht nur bei den Touristen, sondern auch bei den Einheimischen einen guten Ruf. Aber Restauranttester, Sternekoch? Doch die Gäste schienen ihr zu glauben, sie klatschten Beifall. Am liebsten hätte er sich augenblicklich mit Christine in ihre Suite zurückgezogen. Sie lachte ihn an und deutete auf ihren leeren Champagnerkelch. Luigi, vollmachen! Dazu trank sie ein Glas Wasser. Und zwar ausschließlich stilles, so wie immer. »Luigi«, pflegte sie zu sagen, »Kohlensäure hat in Wasser nichts verloren. Die gehört in Champagner.«
Luigi beobachtete die Szenerie. Die Deutschen waren angetan von Christines Charme. Und nicht nur davon. Sie hingen an ihren Lippen, immer häufiger wanderten ihre Blicke Richtung Dekolleté. Die Sprüche der Männer waren von jenem Altherrencharme, die für diese Klientel fortgeschrittenen Alters, die sich selbst als Geschenk an die Weiblichkeit sah, typisch war. Am liebsten wäre Luigi aufgestanden und hätte jedem dieser arroganten, aufdringlichen Arschlöcher eine Ohrfeige verpasst, dass es nur so schallte. Doch heute war etwas anderes wichtiger.
Wortlos erhob sich der Küchenchef, um das Amuse-Gueule zu bringen, ein Lachs-Crêpe-Pralinenröllchen.
Es schien, als wollten sich die Herren aus Deutschland besonders viel Zeit beim Essen lassen. Sie saßen sicherlich schon mehr als eine halbe Stunde mit ihrer Gastgeberin zusammen, als Luigi die Löffel abräumte, auf denen er die kleinste aller Vorspeisen serviert hatte.
Er hatte gerade den letzten Löffel vom Tisch genommen, als Christine plötzlich über Übelkeit klagte. »Mir ist schlecht. Um Gottes willen, was ist das nur? Sehen Sie auch diese Insekten dort? Wo kommen die nur auf einmal her? Und das in meinem Hotel. Und warum ist mein Mund so trocken?«
Der Unternehmer aus Deutschland und seine Kunden waren sehr fürsorglich, doch all ihr Zureden half nichts. Christine halluzinierte und war bald schon weggetreten. Ein Notarzt wurde gerufen, und kurz darauf wurde die Hotelchefin auf einer Bahre abtransportiert. Sie musste auf schnellstem Weg ins Krankenhaus nach Sterzing.
Luigi wandte sich den Gästen zu. Es war wichtig, den Betrieb trotz allem aufrechtzuerhalten. Hoffentlich würde mit Christine alles gut gehen.
* * *
Mailand
Minutenlang hatte Vincenzo mit klopfendem Herzen vor Giannas Haustür
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