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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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mit Reinhold Gräf, auch wenn er den Kollegen einen Freund nannte, nicht über seinen Streit mit Charly gesprochen. Er sprach nie mit ihm über Charly. Er ging mit ihm in die Kneipe, wenn er sich mit Charly zerstritten hatte.
    »Was hältst du eigentlich von dem Neuen?«, fragte Rath und hielt Reinhold das Zigarettenetui hin. Das hatte der Streit mit Charly auch bewirkt: Die Gedanken an Sebastian Tornow hatten ihn den ganzen Abend nicht mehr losgelassen.
    Der Kriminalsekretär klaubte sich eine Zigarette aus dem Etui.
    »Scheint schon in Ordnung zu sein. Wieso?«
    »Ach, nur so.« Rath nahm ebenfalls eine und zündete beide Zigaretten an. »Dachte, wäre vielleicht was für unsere Ermittlungsgruppe. Wenn er kein Lehrling mehr ist. Wäre vielleicht jemand, auf den man Gennat aufmerksam machen sollte, was meinst du?«
    Gräf zog an seiner Overstolz und zuckte die Achseln. »Ist jedenfalls ein fähiger Mann für die Kripo«, sagte er. »Gute Beobachtungs- und Kombinationsgabe ...«
    »Aber?«, fragte Rath.
    »Was aber? Nichts aber.« Gräf trank einen Schluck Bier.
    Rath bereute es bereits, dem Kriminalsekretär solch eine Frage gestellt zu haben. Natürlich musste Gräf in Tornow einen Konkurrenten sehen. Außerdem fühlte sich niemand wohl, wenn er als Spion missbraucht wurde. Und das war eigentlich auch gar nicht Raths Absicht gewesen, jetzt aber war er doch neugierig geworden. »Du klingst, als wärst du nicht wirklich überzeugt«, sagte er.
    »Hat ein paar gewöhnungsbedürftige Ansichten, der Mann. Ich glaube, wenn man ihn ließe, würde er alle Verbrecher einsperren, ohne Gerichtsverhandlung.«
    »Na komm, vor wenigen Tagen hast du in der Kantine noch genauso gesprochen.« Rath merkte, wie er Tornow verteidigte. Aber schließlich konnte Gräf auch nicht wissen, welche Last der Kommissaranwärter mit sich herumtrug.
    »Mag sein. Wie man sich eben ärgert, wenn einer ungestraft davonkommt. Oder man kommt an einen nicht ran, obwohl man weiß, dass es ein Verbrecher ist. Wie bei unserem Goldstein: Letzte Woche hatten wir ihn noch auf dem Präsentierteller. Und jetzt, wo wir dem Gangster etwas nachweisen können, ist er verschwunden.«
    »Natürlich ist so etwas ärgerlich. Aber daran sollte man sich im Laufe eines Berufslebens als Polizist gewöhnen. Ohne Recht und Gesetz geht es nicht.«
    »Dann, fürchte ich, muss Tornow noch viel lernen«, sagte Gräf.
    »Willst du jetzt einen Kollegen in die Pfanne hauen, oder was wird das?«
    »’tschuldige, Gereon. Aber du hast mich gefragt.«
    »Schon gut. Hast ja recht.« Rath schaute reumütig in sein Bierglas. »Ich hab mich nur gewundert. Dachte halt, ihr hättet euch gut verstanden die letzten Tage.«
    »Haben wir auch. Bis er dann mit diesen seltsamen Fragen anfing.«
    »Was für Fragen?«
    »Na eben, was ich davon halte, dass so viele Verbrecher frei herumlaufen.«
    »So eine Frage beschäftigt junge Polizisten eben. Und auch altgediente. Ist doch gut, wenn ein Kommissaranwärter Fragen stellt. Das heißt doch, dass er lernen will.«
    »Schon möglich. Aber in dem Fall kam es mir eher vor, als wolle er mich aushorchen. Als wolle er herausfinden, ob ich seine Ansichten teile.«
    Rath schaute fragend.
    »Vor allem eine Frage ist mir seltsam vorgekommen«, fuhr Gräf fort. »Was meinen Sie, hat er mich gefragt: Muss ein guter Polizist töten können?«
    102
    D a strömten sie aus der Messe, die Sonntagskirchgänger, und tatsächlich spürte er so etwas wie ein schlechtes Gewissen, dass er seiner sonntäglichen Pflicht nicht nachgekommen war. Er ging so gut wie nie in die Kirche, mittlerweile, wo der Zynismus das einzige Glaubensbekenntnis war, dem er noch anhing, und normalerweise verschwendete er keinen Gedanken daran. Aber diese Menschen da vor der Kirche, die anders dachten als er, die noch an etwas anderes glauben konnten als an das große Nichts, die riefen gleichermaßen seinen Neid hervor und seine Verachtung. Er verachtete sie für ihre Naivität, er beneidete sie um ihren Glauben.
    Denn Glauben macht bekanntlich stark, und genauso fühlte er sich an diesem Morgen nicht, eher ziemlich wacklig auf den Beinen. Rath hatte den Buick an seinem neuen Dauerparkplatz abgestellt: vor dem Bestattungsunternehmen schräg gegenüber der Fassade von Sankt Norbert. Heute konnte er keinen Opel von derFahrbereitschaft bekommen, jedenfalls nicht, ohne sich verdächtig zu machen. Er hatte frei, was er hier tat, das tat er auf eigene Faust, das hatte niemanden in der Burg zu

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