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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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gelöst, als sie mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Bellevue gefahren war. Kein Risiko eingehen, nicht noch einmal beim Schwarzfahren erwischt werden! Außerdem spielte Geld im Moment nun wirklich keine Rolle, die zwei Groschen Fahrgeld! Es waren zwar keine dreitausend Mark gewesen, die sie aus den Wertheim-Kassen geholt hatten, aber doch deutlich über zweitausend. So viel Geld hatten sie und Benny mit den Uhren niemals verdient, da hätte sie schon früher mal drauf kommen sollen, aber ihre Scheu vor einem Wertheim-Einbruch hatte das verhindert. Aber jetzt war sie sowieso fertig mit dieser Stadt und auch fertig mit Wertheim. Dieses Abschiedsgeschenk schuldete ihr das verdammte Kaufhaus. Mit ihrem Rausschmiss bei Wertheim hatte die ganze Misere doch eigentlich erst angefangen.
    Sie hatte die Einmündung der Spenerstraße erreicht und spürte, dass sie nervös wurde. Sie wusste nicht, was sie Charlotte, der Gerichtsfrau, sagen sollte. Insgeheim hoffte Alex, sie zuhause gar nicht anzutreffen. Dann könnte sie einfach den Umschlag mit den hundertfünfzig Mark und dem kleinen Brief, den sie geschrieben hatte, durch den Briefschlitz werfen, und die Sache wäre erledigt.
    Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend stieg sie die knarrende Treppe empor. Sie stand einen Moment vor der Wohnungstür, bevor sie den Klingelknopf drückte. Nichts geschah.
    Sie drückte noch einmal und legte ihr Ohr ans Holz der Tür. Da drinnen rührte sich nichts.
    Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Die Wohnungstür gegenüber hatte sich geöffnet, und im Türrahmen stand ein ältliches Fräulein im Sonntagsstaat.
    »Guten Tag«, sagte Alex und machte sogar einen Knicks. Wenn sie wollte, konnte sie tatsächlich noch braves Mädchen spielen. Und heute war sie sogar entsprechend angezogen.
    Die Frau von gegenüber musterte sie von oben bis unten.
    »Guten Tag, junge Dame«, antwortete sie. »Wollen Sie zu Fräulein Ritter?«
    Alex nickte.
    »Da kommen Sie zu spät. Die ist eben fortgegangen, vor zehn Minuten vielleicht.« Die Frau schloss ihre Wohnungstür gründlich ab, drehte den Schlüssel zweimal im Schloss, bevor sie weitersprach, mit einem leicht abfälligen Unterton. »In Begleitung einiger Herren ...«
    Während des letzten Satzes machte sie den Eindruck, als könne sie sich eine ganze Menge Dinge vorstellen, die eine Frau an einem Sonntagnachmittag in Begleitung einiger Herren erleben könnte, dass sie diese Dinge aber durchaus nicht guthieß.
    Alex nickte noch einmal. »Ich habe nur eine Nachricht für Fräulein Ritter«, sagte sie und tat so, als müsse sie noch etwas auf den Briefumschlag schreiben. Sie wartete, bis die Frau die Treppe hinunter war, dann holte sie die Sperrhaken aus der Tasche, die sie sich eigens für den Wertheim-Bruch besorgt hatte, um bei der Flucht nicht vor verschlossenen Türen zu stehen. Erst als sie unten die Haustür zuschlagen hörte, steckte sie die Haken ins Schloss und öffnete die Wohnungstür.
    Vielleicht war es Übermut, vielleicht wollte sie die Gerichtsfrau überraschen, ihr das Geld einfach zurück in diesen Topf legen. Möglicherweise hatte die das Verschwinden ja noch gar nicht bemerkt und würde sich über die dreißig Mark zu viel wundern. Solche Gedanken hatte sie und malte sich Charlottes Gesicht aus, wenn sie das Geld entdecken würde.
    Dann erst sah sie die Bescherung.
    Die Wohnung war ein einziges Trümmerfeld.
    Sämtliche Schubladen waren komplett herausgezogen, lagen mitsamt Inhalt auf dem Boden, die Bücher aus den Regalen gerissen, Akten und Briefe lagen wild verstreut, ein einziges Chaos. Dassah aus wie nach einem Einbruch, aber hatte die alte Schachtel draußen nicht gesagt, Fräulein Ritter habe die Wohnung eben erst verlassen, vor wenigen Minuten?
    In Begleitung einiger Herren.
    Alex versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Was war hier passiert? Mit welchen Herren hatte Charlotte die Wohnung verlassen? Waren die vielleicht verantwortlich für dieses Chaos? Waren das Bullen, die herausbekommen hatten, dass sie einer polizeilich gesuchten Verbrecherin Unterschlupf gewährt hatte?
    Sie steckte den Umschlag mit dem Geld zurück in die Handtasche und schaute sich um. Sie hoffte, eine Antwort auf ihre Fragen zu finden. Spuren eines Kampfes konnte sie keine entdecken. Hier hatte nur jemand rücksichtslos nach etwas gesucht. Die kleine handliche Pistole, die aus irgendeiner Schublade gekullert sein musste, offensichtlich nicht. Alex erinnerte sich an die Waffe, mit der Charlotte in

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