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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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später ein Umschlag in Raths Briefkasten gesteckt, ein praller Umschlag voller Banknoten, summa summarum fünftausend Mark. Kein Brief dabei, kein Absender, nicht einmal Raths Anschrift, gleichwohl hatte er sofort gewusst, von wem die Scheine stammten.
    Rath hatte das Geld nicht eingefordert, aber er hatte es auch nicht zurückgegeben. Und nach ein paar Monaten dann darüber hinweggesehen, dass es schmutziges Geld war, und sich davon ein Auto gekauft. Vielleicht hätte er das Geld bis heute nicht angerührt, wenn Weinert seinen alten Buick damals nicht hätte verkaufen müssen. Sein Freund hatte sich verspekuliert, stecktein einer finanziellen Klemme, und Rath hatte ihm mit dem Geld helfen können. Die Hartnäckigkeit, mit der der Freistaat Preußen ihm eine Beförderung verweigerte und eine angemessene Bezahlung, hatte schließlich auch dazu beigetragen, dass Rath die letzten Bedenken beiseitegeschoben hatte. Die Restsumme, die vom Autokauf übrig geblieben war, lag seither auf einem Bankkonto, Rath hatte keinen Pfennig mehr angerührt.
    Eines hatte er dabei verdrängt: Die Fünftausend waren nicht nur Dank und Belohnung gewesen für das Sorokin-Gold, sie hatten auch einen Bund besiegelt, den Rath am liebsten wieder gelöst hätte – allein, er wusste nicht, wie.
    Er schaute Marlow an. Was mochte der Mann von ihm wollen? »Ich schätze die Gegebenheiten derart realistisch ein«, sagte er schließlich, »dass ich es für ausgemachten Schwachsinn halte, mich ausgerechnet vor dem Präsidium abzufangen. Und dann in so einer Angeberkiste. Nennen Sie das unauffällig?«
    »Wenn Ihnen das nicht passt, sorgen Sie einfach dafür, dass Sie künftig telefonisch erreichbar sind. Oder wenigstens Ihre Nächte zuhause verbringen.«
    »Sie waren am Luisenufer?«
    »Wenn Sie heute morgen gegen vier auch dort gewesen wären, hätten wir dieses Gespräch längst geführt. Der arme Kuen-Yao hat völlig umsonst in Ihrer Wohnung gewartet. Und was die Angeberkiste angeht: Der Wagen ist das Geschenk einer Freundin aus Übersee, das ich gerade Probe fahre.«
    »Und ich dachte immer, Sie schenken Ihren Freundinnen die Autos.«
    Marlow lachte. »In diesem Fall handelt es sich um eine Geschäftsfreundin, der ich geholfen habe, in den Staaten Fuß zu fassen. Mit Erfolg, wie man sieht.«
    »Trotzdem bleibt es eine typisch amerikanische Angeberkiste«, meinte Rath. Alles Amerikanische konnte ihm im Augenblick gestohlen bleiben. Bis auf die Musik vielleicht.
    »Ich wundere mich über Ihre abfällige Äußerung. Ich denke, Sie fahren auch amerikanische Wagen?«
    »Singular«, sagte Rath. »Ich fahre einen amerikanischen Wagen, und zwar einen gebrauchten. Mit Ihrem Fuhrpark kann sich das, glaube ich, nicht messen.«
    »Sie sollten öfter mit mir zusammenarbeiten, dann können Sie sich auch bessere Wagen leisten.«
    »Wer sagt denn, dass ich das will?«
    »Bin ich falsch informiert über die Besoldungsstufen der preußischen Polizei? Sind Ihre Bezüge nicht neulich erst wieder gekürzt worden?«
    Rath hatte genug von dem Thema. »Was ist denn so wichtig, dass Sie Ihre Probefahrt unterbrechen, nur um mich zu sprechen?«, fragte er.
    »Ich brauche Ihre Hilfe.« Marlow brachte es fertig, so zu klingen, als sei er tatsächlich ein Bittsteller. »Hugo Lenz«, fuhr er fort, »sagt Ihnen der Name etwas?«
    Rath schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
    »Vorsitzender des Ringvereins Berolina ...«
    »Ach, der rote Hugo!«
    Marlow nickte. »Sind Sie ihm schon einmal begegnet?«
    »Nein. Aber natürlich kenne ich den Namen.«
    Unter seinem Spitznamen war Hugo Lenz eine bekannte Größe in der Berliner Unterwelt. Der rote Hugo, ein erfahrener Schränker, leitete die Berolina, den Ringverein, den Johann Marlow für seine krummen Geschäfte einspannte – ohne selbst dort jemals Mitglied gewesen zu sein. Eine profitable Zusammenarbeit für beide Seiten: Die Berolina machte die besten Geschäfte aller Berliner Unterweltvereine, und Marlow hatte immer genügend Männer zur Verfügung, nicht nur, wenn irgendwo Arbeit zu erledigen war. Die Berolina, das waren Marlows Muskeln, die kleine Armee seines illegalen Geschäftsimperiums. Gleichwohl vermied Johann Marlow alles, was den Eindruck erwecken könnte, er stünde in irgendeiner Beziehung zu dem Ringverein. Nicht einmal dessen Feiern besuchte er – im Gegensatz zu so manchen Polizeibeamten, die einen guten Draht zu Berlins Verbrechervereinen pflegten, weil man dort die besten Tipps bekommen konnte.

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