Goldstück: Roman (German Edition)
falschliege.
»Dann hast du heute Abend also genau genommen meine Abschiedsparty organisiert. Wie nett von dir.« Ich merke, wie die Tränen jetzt tatsächlich anfangen zu laufen. Scheiße. Warum kann ich nicht cooler sein? Ich wische mir mit dem Handrücken übers Gesicht. Dabei streift das Bettelarmband meine Wange. »Hier.« Mit einer energischen Bewegung reiße ich es runter. »Auf Almosen von dir zur Glückssuche bin ich wirklich nicht angewiesen. Ich komme auch alleine klar.« Dann donnere ich Kiki und Stefan das Armband vor die Füße und mache auf dem Absatz kehrt.
»Maike«, ruft meine Cousine mir nach, »bitte hau doch jetzt nicht ab, sondern lass uns vernünftig miteinander reden!«
Ich drehe mich noch einmal zu ihr herum. »Vernünftig miteinander reden? Worüber denn? Darüber, dass ich ein lästiger Parasit bin, der nichts auf die Reihe kriegt? Nein, danke, mein Gesprächsbedarf ist gedeckt! Komm mir bloß nicht nach!« Mit diesen Worten knalle ich Kikis Zimmertür von außen zu.
»Lass sie lieber in Ruhe, sie wird sich schon wieder beruhigen«, höre ich Stefan gedämpft hinter der Tür sagen.
Ich hetze zur Garderobe im Flur und reiße meinen Trenchcoat und meine Tasche mit einem derartigen Ruck vom Haken, dass noch weitere Mäntel und Jacken zu Boden gehen.
»Was ist denn los?« Nadine kommt aus der Küche, in der sich die meisten Gäste versammelt haben.
»Nichts«, bringe ich erstickt hervor, obwohl mir klar ist, dass es gerade nach allem anderen aussieht. Mittlerweile laufen mir
die Tränen in regelrechten Sturzbächen herunter, das kann auch meiner Kollegin nicht entgehen. »Ich brauche nur frische Luft.«
»Moment«, sagt Nadine und fischt aus dem Klamottenhaufen auf dem Fußboden ihre eigene Jacke heraus. »Ich komme mit.«
Drei Stunden später liege ich auf dem Bett im Gästezimmer von Nadine und ihrem Mann Ralf. Zuerst sind wir eine Weile ziellos durch Eimsbüttel spaziert, und ich habe ihr von dem Gespräch zwischen Stefan und Kiki erzählt. Nadine hat mich einfach reden lassen, sie scheint ein gutes Gespür dafür zu haben, wenn jemand einfach nur Dampf ablassen und nicht mit Kommentaren genervt werden will. Allerdings kann ich nicht behaupten, dass meine Wut dadurch verraucht ist. Selbst jetzt, während ich auf dem Gästebett liege, nachdem Nadine mir freundlicherweise Nachtasyl gewährt hat, kreisen die Gedanken in Hochgeschwindigkeit durch meinen Kopf. Ich bin immer noch sauer auf Kiki und Stefan, weil sie hinter meinem Rücken schon meinen Auszug geplant haben.
Aber viel schlimmer als die Wut ist noch etwas anderes: die Traurigkeit. Ich bin verletzt. Verletzt über Kikis Vertrauensbruch. Meine allerbeste Freundin – und sie spricht nicht mit mir, weiht mich nicht in ihre Pläne ein? Weil es mir ja ach so schlechtgeht? Bin ich denn wirklich so eine Zumutung für meine Cousine, wie Stefan gesagt hat? Oder möglicherweise sogar für mein gesamtes Umfeld? Ja, das bin ich wohl, denke ich bitter. Stefan hat schon recht, ich kriege rein gar nichts auf die Reihe. Nicht mein Studium, im Job lasse ich mich verarschen, meine Beziehungen sind eine Katastrophe. Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild meiner Eltern, wie sie mich abschätzig mustern. Mein Vater, dem die Enttäuschung über meinen bisherigen Lebensweg deutlich ins Gesicht geschrieben steht und der
sich nicht einmal an meinem Geburtstag die Mühe macht, sein Missfallen für sich zu behalten, meine Mutter, die Bekannten gegenüber immer sofort das Thema wechselt, wenn sie gefragt wird, was ich denn gerade so mache. Zu peinlich ist die Wahrheit über ihre einzige Tochter, die eine derartige Versagerin ist.
Noch nie habe ich meinen Eltern auch nur einen einzigen Grund gegeben, auf mich stolz zu sein. Eine wirklich ernüchternde Lebensbilanz. Kein Wunder, dass sie sich fragen, warum ich so ein Loser geworden bin, haben sie mir doch immer etwas vollkommen anderes vorgelebt. Er, der große Mediziner, sie, ebenfalls erfolgreiche Ärztin – wie kommen sie nur an so ein missratenes Kind wie mich? Ich lache bitter auf. Wer weiß, wahrscheinlich haben sie sich schon öfter gewünscht, Kiki wäre ihre Tochter. Kiki, die immer alles perfekt hinbekommt, Kiki, die mitten im Leben steht, Kiki, der alle zu Füßen liegen. Kiki, die sich um den familiären Problemfall kümmert, Kiki, die immer wieder entschuldigende Worte für das Enfant terrible findet, obwohl es sogar ihrem perfekten Leben und ihrer gemeinsamen Zukunft mit
Weitere Kostenlose Bücher