Goldstück: Roman (German Edition)
Stefan-ich-bin-ein-super-Personal-Trainer im Wege steht.
Wieder schießen mir die Tränen in die Augen. Ich hangele nach meiner Handtasche, die neben mir auf dem Boden liegt, und suche darin nach Taschentüchern. Natürlich finde ich keine, ich gehöre halt nicht zu diesen perfekt organisierten Menschen, die immer Taschentücher, Labello und Pfefferminzbonbons dabeihaben. Okay, Schminkzeug habe ich immer mit, damit ich mir auch jederzeit die Nase pudern kann, wenn es sein muss. Ja, schön die Fassade pflegen, während dahinter in Wahrheit nur ein Trümmerhaufen steckt. Meine Hand berührt etwas Kleines, Hartes. Sofort weiß ich, was es ist. Mein »Wunschbuch«. Hahahaaaaa! Hat ja wirklich super geklappt, das muss man schon sagen. Gesetz der Anziehung, nein, wirklich Kiki, ich bin restlos überzeugt. Wütend krame ich es aus der Tasche und überlege,
ob ich es in tausend Stücke zerreißen soll, so eine Wut habe ich gerade.
Schon habe ich den Einband am Wickel. Aber dann habe ich eine andere Idee. Okay, Kiki, sage ich im Geiste zu meiner Cousine. Weißt du, was ich wirklich will? Was ich mir aus tiefstem Herzen wünschen würde, wenn so etwas möglich wäre? Na? Hast du eine Idee? Mit meinem Kugelschreiber kritzele ich so fest auf die nächste freie Seite, dass sich der Stift noch mehrere Seiten weiter durchdrückt.
Ich führe Kikis Leben, bin erfolgreich, glücklich, zufrieden, und alle lieben mich!
So, ha! Da wollen wir doch mal sehen, wie das Gesetz der Anziehung das hinbekommt, da bin ich doch mal mehr als gespannt. Es ist ganz einfach , erinnere ich mich an die Worte meiner Cousine, sicher, ja, total einfach ist das, glücklich zu werden. Nun denn, jetzt habe ich dem Universum mal eine echte Nuss zum Knacken aufgetragen. Ich schnappe mir die Flasche Wein, die Nadine mir netterweise noch geöffnet hat, gieße mir ein Glas ein und proste mir damit selbst zu.
»Happy birthday, Maike«, sagte ich laut. »Mögen alle deine Wünsche im neuen Lebensjahr in Erfüllung gehen!«
[home]
9. Kapitel
M itten in der Nacht reißt mich ein Klingeln aus meinem unruhigen Schlaf. Verwirrt und ein bisschen verärgert setze ich mich auf und brauche ein paar Sekunden, ehe ich kapiere, wo ich bin, und begreife, dass das nervige Bimmeln von meinem Mobiltelefon stammt. Während ich in meiner Handtasche nach dem kleinen Störenfried krame, sind sofort die Bilder des gestrigen Abends wieder präsent. Mein Streit mit Kiki und Stefan, wie ich zusammen mit Nadine einfach abgerauscht und schließlich hier auf dem Sofa gelandet bin. Na, prima, da kann ich mich ja jetzt schon einmal auf eine Standpauke meiner Eltern gefasst machen, wie ich so unmöglich sein kann, meine eigene Geburtstagsparty grußlos zu verlassen.
Dabei spielt es natürlich keine Rolle, dass es genau genommen gar nicht »meine« Party war, sondern nur eine Feier, die sie mir aufgenötigt haben. Aber ich weiß jetzt schon, dass dieses Argument bei ihnen nicht zählen wird, und ärgere mich gleichzeitig über die Erkenntnis, dass ich mir selbst mit dreißig Jahren überhaupt noch Gedanken darüber mache, wie ich meinen Eltern gegenüber argumentieren könnte.
Egal, vermutlich brauche ich mir eh keine Gedanken mehr zu machen, die liebe Kiki und der liebe Stefan werden ihnen gestern schon alles Nötige erklärt haben. Ich sehe das Gesicht meiner Mutter förmlich vor mir, die betreten nickt und Dinge sagt wie: »Es ist ja auch nicht leicht, mit so einem Klotz am Bein, aber du kannst nicht immer auf Maike Rücksicht nehmen und musst dein eigenes Leben leben, Kiki.«
All diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, während ich nach meinem Handy suche, das endlos klingelt, weil ich keine Mailbox habe, die rangehen könnte. Kann ich mir nicht leis
ten. So ist das eben bei einer Versagerin wie mir: Nicht mal zu einer Mailbox reicht es, das sind doch mal …
»Stefan mobil«, lese ich, als ich das Bimmelteil endlich am Wickel habe. Das Display zeigt fünf Uhr siebenundvierzig. Ist der jetzt vollkommen verrückt geworden? Was will er um diese Zeit von mir? Noch einmal in Kikis Auftrag »vernünftig« mit mir reden? Im ersten Moment bin ich versucht, ihn einfach wegzudrücken, der hat sie doch nicht mehr alle! Aber dann nehme ich das Gespräch entgegen, um ihm das gleich mal höchstpersönlich mitzuteilen.
»Sag mal, spinnst du?«, blöke ich ihn an. Zuerst höre ich gar nichts, nur ein komisches Rauschen. »Stefan?«, rufe ich ungeduldig.
»Maike«, kommt es
Weitere Kostenlose Bücher