Goldstück: Roman (German Edition)
aufs Sofa sinken, greife nach dem Telefon vor mir auf dem Couchtisch und wähle die Nummer vom Sonnen
studio. Ich habe Glück, Roger ist noch da und nimmt den Anruf entgegen. In kurzen Worten erkläre ich ihm, dass ich auf meine Umsatzbeteiligung verzichte, wenn Nadine weiterhin im Studio arbeiten darf.
Er ist zwar überrascht, willigt aber ein. »Okay«, meint er, »wenn ihr das so wollt, mir soll es recht sein.«
»Gut, dann machen wir das so. Und, sag mal, könntest du vielleicht …«
»Vielleicht was?«
»Könntest du mir vielleicht einen Vorschuss zahlen?«
»Einen Vorschuss?«
»Dadurch, dass ich länger nicht mehr gearbeitet habe, bin ich ein bisschen in der Bredouille.«
»Wie viel brauchst du denn?«
»So sechshundert Euro?«
Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann ein deutliches »Sorry, das ist echt nicht drin. Fünfzig Euro, darüber könnten wir reden, aber mehr auf keinen Fall«.
»Hm, tja, das bringt mir nicht wirklich viel.« Einen Versuch war es immerhin wert.
»Wer von euch kommt denn nun morgen?«, will Roger noch wissen. »Du oder Nadine?«
»Vormittags Nadine, nachmittags ich«, erkläre ich. »Ich sag ihr Bescheid.«
»Gut. Dann bis morgen.«
»Ja, bis morgen.«
Ich lege auf und schreibe eine SMS an Nadine, dass alles klargegangen ist und sie morgen früh arbeiten soll. Zwei Sekunden später schickt sie ein »Supi, danke!« zurück.
Ich lehne mich müde gegen die Rückenlehne des Sofas und schließe für einen Moment die Augen. Das wäre schon einmal geregelt. Als ich die Augen wieder öffne, fällt mein Blick auf das Bild, das Kiki irgendwann mal neben der großen Zimmerpflan
ze hinten rechts in der Ecke aufgehängt hat. Das heißt, Bild ist eigentlich nicht richtig, es ist ein Sinnspruch:
Was der Geist ersinnen kann,
das kann er auch erreichen.
W. Clement Stone (1902–2002)
Wirklich überaus passend, dieser Spruch! Denn wenn ich mal darüber nachdenke, was ich bisher so erreicht habe, dann müsste man schon ein sehr großer Zweckoptimist sein, um nicht zu dem Ergebnis zu gelangen, dass in meinem Leben momentan alles mehr als im Argen liegt. Nicht in meinen schlimmsten Träumen hätte ich gedacht, dass ich mal an so einen Tiefpunkt geraten würde. Denn genau genommen hat sich alles nur zum Negativen verändert. Kiki ist tot, ich habe immer noch einen schlechtbezahlten Job und hocke in einer Wohnung, die ich mir nicht leisten kann. Nachdenklich nehme ich meinen Wunschzettel in die Hand, der nach wie vor auf dem Tisch vor mir liegt. Frustriert lese ich, was ich zuletzt aufgeschrieben habe.
Keine Katastrophen und Rückschläge mehr. Weder für mich noch für meine Freunde!
Fünfmal untereinander und mehrfach dick unterstrichen. Ratlos betrachte ich den Satz so lange, bis die Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen. Und dann ist es mir plötzlich sonnenklar!
»Maike Schäfer«, rufe ich laut, »du bist echt der größte Hornochse, den man sich vorstellen kann!« Was hatte Kiki mir er-klärt? Keine negativen Formulierungen wie »nicht« oder »kein«, denn das versteht das Universum nicht und liefert das Gegenteil. »Ich hab’s genau falsch gemacht!«, ärgere ich mich über mich selbst. Dann halte ich einen Moment inne – aber bedeutet
das nicht auch, dass es wirklich funktioniert? Ich habe mir Katastrophen und Rückschläge gewünscht, und – zack! – sofort kamen mit Herrn Tiedenpuhl, Nadine, Ralf und der Tatsache, dass ich wieder bei sieben Euro fünfzig die Stunde angelangt bin, jede Menge Katastrophen und Rückschläge. Unglaublich! Okay, vielleicht nur ein Zufall. Vielleicht aber auch nicht.
Aufgeregt schnappe ich mir den Kuli, der auf dem Tisch liegt, nehme ein neues Blatt Papier – meinen alten Wunschzettel befördere ich in hohem Bogen zu Tiedenpuhls Liebesbrief in den Papierkorb, da können sie es sich zusammen gemütlich machen – und fange mit Feuereifer an, eine neue Liste mit den wichtigsten Punkten zu schreiben:
1.
Ich habe einen tollen Job, bin glücklich und verdiene gutes Geld.
2.
Alle in meinem Freundeskreis sind glücklich, gesund und zufrieden. Speziell Nadine und Ralf geht es klasse, sie sind wieder zusammen, er arbeitet wieder.
3.
Ich habe sechshundert Euro und bezahle damit Herrn Tiedenpuhl. Auch sonst kann ich die Miete immer problemlos überweisen.
Ob Punkt drei nun mit Hilfe von Mitmietern klappt oder wie auch immer, das lasse ich jetzt einfach mal offen. Denn wie ich das hinkriege, ist mir eigentlich egal. Hauptsache, es
Weitere Kostenlose Bücher