Goldstück: Roman (German Edition)
erwähnt.
Als ich Nadine jetzt erzähle, wie Kiki immer versucht hat, mir zu helfen, und mir deshalb die Sache mit dem Gesetz der Anziehung erklärt, das Wunschbuch und das Bettelarmband geschenkt hat – da komme ich mir auf einmal umso mieser und schlechter vor, weil ich damals so ausgeflippt bin und mich nur noch um mich selbst gedreht habe, völlig gleichgültig, wie es den Menschen in meinem Umfeld so geht.
»Also«, meint Nadine, als ich – mittlerweile in Tränen aufgelöst – am Ende meines Berichts über die Geschehnisse vor Kikis Tod angelangt bin, »zum einen muss ich dir widersprechen: Du bist gar nicht so ekelhaft, wie du dich selbst gerade darstellst.«
»Bin ich doch«, stelle ich trotzig fest.
»Bist du nicht«, widerspricht Nadine. »Vergiss zum Beispiel nicht, dass du mir zuliebe bei Roger wieder zurückstecken willst.«
»Auch das ist nicht wirklich selbstlos«, meine ich. »Schließlich würde ich durchdrehen, wenn ich mit diesem Idioten allein wäre und nicht mal mehr dich hätte.« Ich lächle sie schief an. »Eben doch ganz schön egoistisch.«
»Quatsch.« Sie nimmt meine Hand und drückt sie.
Ich seufze. »Weißt du, was das Schlimmste ist? Dass ich
immer daran denken muss, dass ich als Letztes zu Kiki gesagt habe, dass sie mich wohl für einen lästigen Parasiten hält und mir bloß nicht nachkommen soll.« Ich schluchze. »Ich konnte es nicht einmal zurücknehmen und ihr sagen, dass ich es so nicht gemeint habe und dass ich ihr dankbar bin für alles, was sie für mich tut.«
»Ich bin sicher, das hat sie gewusst«, meint Nadine.
»Aber woher denn?«
»Wir alle tun und sagen manchmal Dinge, die uns hinterher leidtun, das ist nur menschlich.« Für einen kurzen Moment verdüstert sich ihre Miene. »Wer weiß, vielleicht wird es Ralf auch schon bald leidtun, dass er sich im Moment so idiotisch verhält.«
»In dem Fall bin ich sogar sicher«, werfe ich ein.
»Tja, das werden wir ja noch sehen. Jedenfalls solltest du dir keine Vorwürfe mehr machen. Kiki hat dich mit Sicherheit genauso geliebt wie du sie, daran wird euer Streit nichts geändert haben.«
»Meinst du?«, frage ich und klinge dabei wie eine verunsicherte Zwölfjährige.
»Absolut.«
Ich spiele wieder mit meinem Bettelarmband herum. »Ich hoffe es. Ich hoffe, dass Kiki irgendwo da oben jetzt auf einer Wolke sitzt und zu mir runtersieht.«
»Das macht sie bestimmt.«
»Ja«, ich muss lächeln, »und wahrscheinlich schüttelt sie den Kopf darüber, was hier unten schon wieder alles los ist.« Dann berichte ich Nadine noch von meinem Gespräch mit Herrn Tiedenpuhl und dass er mich aus der Wohnung schmeißen will, wenn ich bis Montag nicht sechshundert Ditscher auftreibe.
»Oh«, kommentiert Nadine, »das ist echt eine Menge Geld.«
»Ich hab auch keine Ahnung, wie ich es auftreiben soll. Mit
dem Wünschen hat es jedenfalls nicht wirklich geklappt. Im Gegenteil, meine Situation ist beschissener denn je, und noch dazu scheint in meinem Umfeld auch nicht alles ganz rund zu laufen. Für wen auch immer diese Gesetze der Anziehung funktionieren – ich persönlich scheine dagegen immun zu sein.«
»Na ja, ehrlich gesagt halte ich so was für ähnlichen Quatsch wie Horoskope. Da stimmt auch nie was.«
»Aber Kiki war davon so dermaßen überzeugt! Und sie selbst war der beste Beweis dafür, dass es offenbar doch funktioniert.«
»Das ist kein Beweis. Es gibt eben Menschen, die Glück haben, und solche, die vom Pech verfolgt werden.«
»Da liegst du vermutlich richtig. Aber weißt du …« Ich suche nach den richtigen Worten. »Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin es Kiki schuldig.«
»Was bist du ihr schuldig?«
»Na, dass ich es weiter probiere. Dass ich an sie glaube und … ach, ich weiß auch nicht. Verstehst du, was ich meine?«
Nadine nickt. »Ja. Das verstehe ich.«
Um kurz vor zehn komme ich wieder bei mir zu Hause an und finde einen Brief, den jemand unter der Tür durchgeschoben hat. Eine Gesprächsnotiz von Herrn Tiedenpuhl, der noch einmal gemäß dem Motto »Wer schreibt, der bleibt« unsere Vereinbarung, dass ich bis Montag sechshundert Euro zahle und dann den Rest bis Mitte des Monats, in kurzen Stichworten festgehalten hat.
»Danke, Herr Tiedenpuhl«, murmele ich vor mich hin, zerknülle den Brief und befördere ihn in den Papierkorb neben der Wohnzimmertür, »ich hätte sonst glatt vergessen, dass Sie mich auf die Straße setzen, wenn ich das nicht schaffe.« Matt lasse ich mich
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