Golem - Golem - Genome, Inc.
vor seine Tochter, sodass sie auf Augenhöhe waren. Im Hintergrund lief stumm der Fernseher und zeigte Bilder vom Sieg der Braves früher am Abend. Arden beachtete die Bilder kaum, während er versuchte, seiner Tochter die pinkfarbene Jacke überzuziehen. Maggy hielt die Jacke für zu schwer und wollte sie nicht tragen; also musste Arden sie ablenken, während er ihr die Ärmel über die Arme zog.
»Was isst Ralph denn gerne?«, fragte er.
»Salat«, antwortete Maggy fröhlich.
Arden zog den Ärmel ein kleines Stück weiter runter.
»Und was noch?«
»Karotten!«
Noch ein Stück.
»Und was trinkt Ralph gerne?«
»Wasser!«
Vorsichtig nahm Arden Maggys anderen Arm, steckte auch ihn in einen Ärmel und zog ihn herunter, bis Maggys winzige Hand zum Vorschein kam.
Ralph war ein Leguan, den Arden Maggy gekauft hatte, als sie aus dem Krankenhaus gekommen war. Arden hatte geglaubt, das Mädchen hätte gerne etwas Warmes, Flauschigeszum Spielen gehabt, doch als Maggy den Leguan in seinem Glaskäfig gesehen hatte, hatte sie sofort aufgeregt mit ihrem kleinen Finger auf ihn gezeigt.
Auf der Fahrt nach Hause von der Tierhandlung saß Maggy auf dem Rücksitz und starrte auf Ralph in seinem Glasgefäß. Sie schwieg fast während der gesamten Fahrt, sodass Arden schon glaubte, das Reptil mit seinen hervorquellenden Augen und der hervorzuckenden Zunge habe ihr Angst gemacht. Deshalb war er überrascht, als Maggy plötzlich fragte: »Ist er krank?«
»Nein«, hatte Arden geantwortet. »Ich glaube nicht. Wie kommst du darauf?«
»Weil er in dem Glas sitzt. Genau wie ich, als ich krank war.«
Danach erschien es Arden nicht mehr richtig, den Leguan in seinem gläsernen Käfig zu halten. Also durfte Ralph fortan ungehindert durchs Haus streifen. Maggy und Ralph bauten rasch eine enge Beziehung auf. Das Reptil kroch nachts zu ihr auf das warme Kissen, und morgens saß es am Frühstückstisch und ließ sich von Maggy mit Salat füttern. Arden sah eine Loyalität und ein Verständnis in Ralphs Leguanaugen, die er bei den Ärzten, die seine Tochter behandelt hatten, schmerzlich vermisst hatte. Das Reptil schien zu wissen, was mit Maggy nicht stimmte, und in seinem winzigen Hirn hatte es offenbar beschlossen, über diese andere Kreatur zu wachen, die gezwungen war, hinter Glaswänden zu leben.
»Wir nehmen Ralph das nächste Mal mit, Süße, okay?«, sagte Arden.
»Okay. Und Mommy auch?«
»Nun ja …«, antwortete Arden zögernd. »Sie vielleicht nicht.«
Ardens Exfrau, Sheila, war eine Anwältin, die mit ihremFreund Raoul, diesem Arschloch von Maler aus Brasilien, in einer Luxuswohnung in Battery Park lebte. Seit der Scheidung hatte Sheila ihre Tochter nur selten gesehen. Sie sagte, sie haben zu viel in der Kanzlei zu tun, als dass sie sich um ein Kind kümmern könne, ganz zu schweigen um einen Leguan.
Arden hatte sie deswegen einmal zur Rede gestellt, und Sheila hatte darauf reagiert, indem sie sich wie eine Märtyrerin mit der Hand auf die Brust geschlagen hatte. Ihr Karriere! Ihre Freizeit! Blablabla. Irgendwann hatte sie sich angehört wie die Lehrerin von Charlie Brown.
Arden und seine Ex waren einst glücklich gewesen. Waren. Mit der Vergangenheitsform konnte man viele Dinge im Leben beschreiben. Es war wie ein verdammter Fluch. Er war ein guter Cop gewesen. Er und Sheila waren einmal glücklich gewesen. Maggy war einst gesund gewesen. Maggy … Sie war alles, was jetzt noch zählte.
Vor zwei Jahren, als der weiße Nebel sich über New York gelegt hatte, waren alle in Panik ausgebrochen. Arden erinnerte sich noch genau an den Morgen des Angriffs. Jemand hatte die Luftreiniger infiziert, und die ganze Nacht über hatten die Maschinen die Luft unbemerkt mit Gift angereichert. Als New York an jenem Morgen erwachte, war die ganze Stadt von einem weißen Pulver bedeckt gewesen. Sechs Monate später hatte es die ersten Krankheitsfälle gegeben.
Nachdem amerikanische Wissenschaftler eine Möglichkeit entwickelt hatten, Algenöl in einen billigen Biotreibstoff zu verwandeln, verlor die Welt ihre Abhängigkeit vom Erdöl, und der gesamte Nahe Osten fiel ins Mittelalter zurück. Einhundert Jahre lang hatte man dort de facto das Monopol auf das wichtigste Produkt der Welt gehabt; als dieses Monopol zerbrach, hatten die meisten Araber nur noch ihre Luxusschlitten und Privatjachten vorzuweisen. Die USA kamen zu der Erkenntnis, dass ihre Militärpräsenz im Irak nicht mehr vonnöten sei: Viertausend Soldaten wurden
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