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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Versteck auf dem Dachboden, nur dort war Sicherheit, beim Hohen Rabbi, bei Tante Perl, bei Jente und bei Josef. Wo war er? Warum war er nicht hier, um mir zu helfen? Aber ich hatte keine Zeit, mich mit solchen Gedanken aufzuhalten, ich musste weiter.
    J ankel hielt Rochele fest an der Hand, während sie an Häuserwänden entlangschlichen, er hob sie über Zäune, er half ihr durch Fenster und über Mauern, er zerrte sie durch Gassen. Der Himmel im Osten hatte sich gerötet, es war hell geworden, und im unbarmherzigen Licht des Morgens war die Angst in den Gesichtern der Menschen zu sehen, die, ebenso wie sie, auf der Suche nach einem Ort waren, der wenigstens die Hoffnung auf Schutz bot. Die Angst zeigte sich an ihren fahrigen Bewegungen, an ihren aufgerissenen Augen, den hin und her flitzenden Blicken und den zerrauften Haaren. Jankel sah Mütter, die Kinder unter Abfallhaufen versteckten oder ihnen halfen, auf Dächer zu klettern. In manchen Türen standen Männer mit Stöcken in der Hand, bereit, ihre Familien zu verteidigen. Andere Männer kauerten in Ecken und hatten die Köpfe in den Armen vergraben, als würden sie dadurch unsichtbar für ihre Feinde. Rochele stolperte und Jankel nahm sie auf den Rücken, so wie früher, und setzte seinen Weg fort. Er keuchte unter der Last, denn er war zwar größer und stärker geworden, aber auch seine kleine Schwester war gewachsen und hatte zugenommen.
    Als er um die Ecke bog und die Rückseite der Altneuschul vor ihm auftauchte, sah er sie in der Ferne wirklich kommen, die Judenfeinde, es waren viele, sie kamen von beiden Seiten der Straße und versperrten ihm den Weg zum Haus Rabbi Löws, und als er sich gehetzt umdrehte, sah er in der Ferne die Betrunkenen kommen, die Reb Naftali niedergeschlagen hatten.
    Die Angreifer schwangen Stöcke und Knüppel, manche hatten auch Beile und Äxte dabei, und die Taschen ihrer Jacken und Hosen wölbten sich, ein Zeichen, dass sie einen Vorrat an Steinen mitbrachten. Ihr Geschrei und ihre Rufe rollten heran wie Donner, und langsam waren auch die Worte zu verstehen, die sie brüllten: »Nieder mit den Juden!« und »Schlagt sie tot!«
    Es waren Judenschlächter, von denen sein Onkel gesagt hatte, dass sie auf Mord und Totschlag aus waren. Jankel ließ Rochele von seinen Schultern rutschen, packte sie an der Hand, zerrte sie in die kleine Gasse, riss die Tür zur Synagoge auf und stürzte hinein. Sie stolperten und wären die Stufen hinuntergefallen, hätten sich nicht helfende Arme ausgestreckt, um sie aufzufangen.
    Schon hier, im Vorraum, drängten sich Juden zusammen, Männer, Frauen und Kinder, die Schutz suchten oder zumindest den Trost gemeinsamen Betens.
    E s ist wie bei dem Überfall, von dem der Hohe Rabbi er zählt hat, schoss es mir durch den Kopf, damals, als drei tausend Juden umgebracht worden waren, dreitausend Märtyrer… Hier wollte ich nicht bleiben. Ich überlegte fieberhaft, wollte mich schon umdrehen und über die Gasse zur Hohen Schul gehen, da sah ich hinten die Leiter, die zum Dachboden hinaufführte. Schnell entschlossen stieg ich die Sprossen nach oben und versuchte, die Falltür zu öffnen, aber sie war zu schwer, ich schaffte es nicht. Da beugte ich den Kopf, nahm all meine Kräfte zusammen und stemmte mich mit Schultern und Rücken dagegen. Nun gelang es mir, die Klappe zu bewegen, sie ging auf und schlug mit einem lauten Krachen auf den Boden, die Luke war offen. »Rochele«, rief ich leise, aber da war sie auch schon oben, bei mir. Mit vereinten Kräften zogen wir die Leiter zu uns herauf und schlugen die Falltür zu.
    A uf dem Dachboden war es dunkel, durch die kleinen Fenster fiel nur wenig Licht herein. Unter dem von Alter geschwärzten Gebälk hingen Fetzen von Spinnweben, die Luft war stickig und roch nach faulem Holz und Moder. Auf den verstaubten, an vielen Stellen schadhaften Fußbodenbrettern lag Gerümpel herum, zerbrochene Stühle und Bänke, Kisten mit zerfledderten Büchern, Gegenstände, die man unten, in der Schul, aussortiert hatte, weil sie unbrauchbar geworden waren. In einer Ecke lagen, unordentlich gestapelt, alte Tempelbehänge, zerschlissene Gebetsmäntel, halb zerrissene Bücher.
    Jankel schob Rochele unter einen tiefen Querbalken und befahl ihr, sich dort hinzulegen, in die Lücke zwischen Balken und Dachziegeln. »Rühr dich nicht«, zischte er, »bleib ruhig liegen und gib keinen Mucks von dir, egal, was du hörst, hast du mich verstanden?« Sie nickte und schaute ihn mit ihren

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