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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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es Reb Jakob Bassevi war, der Getreidehändler, einer der reichsten Juden der Stadt, dem außerdem noch einige Häuser gehörten. »Hoher Herr«, sagte Reb Jakob Bassevi leise und mit vorsichtiger Stimme, »ich möchte nichts Ehrenrühriges über Euren Vetter sagen, aber könnte man vielleicht mit Geld etwas ausrichten? Ihr wisst doch sicher, dass wir immer wieder jüdische Gefangene freikaufen.«
    »Ja«, fiel ihm Reb Zemach Kohen ins Wort. »Manchmal werden irgendwelche Juden auch nur unter einem Vorwand festgenommen, damit wir sie anschließend freikaufen. Unsere Feinde, ihre Namen mögen vergessen werden, wissen genau, dass ein Jude für den anderen Juden bürgt, und das nützen sie zu unserem Schaden aus.«
    Reb Jakob Bassevi nickte, und Reb Gerschom ben Schlomo nahm, von neuer Hoffnung erfüllt, die Hände vom Gesicht. Sogar bei dem schwachen Licht der Öllampe war zu erkennen, wie rot seine Augen waren.
    Doch Doktor Balthasar schüttelte den Kopf. »Mit Geld ist diesmal nichts auszurichten, fürchte ich. Es handelt sich nicht um irgendwelche Vorwürfe wegen Betrugs oder um einen Streit um Zinsen, die man vielleicht als Wucher bezeichnen könnte. Es geht auch nicht um Diebstahl oder falsche Versprechungen. Es geht um den Mord an einem Christenkind. Und außerdem muss ich leider gestehen, dass mein Vetter nicht frei von Vorurteilen ist.«
    Der Hohe Rabbi sagte: »Ihr meint, Euer Vetter ist kein Freund der Juden?«
    »Ja«, sagte Doktor Balthasar verlegen, »und ich glaube nicht, dass es mir oder irgendeinem anderen gelingen könnte, ihn umzustimmen. Er ist ein sehr frommer Mann und steht unter dem Einfluss der Kirche, und gerade jetzt haben die Jesuiten wieder damit begonnen, Hasspredigten zu halten und das Volk gegen die Juden aufzuhetzen.«
    Rabbi Löw nickte. »Jankel«, sagte er, »erzähle doch mal, was du heute gehört hast.«
    Jankel musste gegen seine Verlegenheit ankämpfen, weil er vor den Ältesten sprechen sollte, und seine Stimme kippte vor Aufregung, doch dann fasste er sich und wiederholte, soweit er sich erinnerte, Wort für Wort alles, was der Mönch vorgelesen hatte.
    Doktor Balthasar seufzte tief. »Das war bestimmt Thaddäus, er ist der Schlimmste von allen. Ich kenne diese Schrift, sie ist von Antonio Bonfini, aus dem vierten Buch seiner ›Rerum Ungaricarum decades‹, die er am Hof des Königs von Ungarn verfasst hat. Diese Lügen sind bald hundert Jahre alt, aber sie sind nicht auszurotten, sie werden dem Volk immer wieder als neu verkauft.«
    Wieder erfüllten Seufzer und Klagen den Raum, die Männer wiegten sich hilflos vor und zurück, wie beim Beten, und rauften sich verzweifelt die Bärte.
    Doktor Balthasar räusperte sich. »Ich habe meinen Vetter davon überzeugt, dass es nur recht und billig ist, wenn er einem Rabbiner erlaubt, Reb Meisl aufzusuchen. Ich habe an seine Frömmigkeit und an sein Gerechtigkeitsgefühl appelliert, denn schließlich wird auch jedem christlichen Gefangenen der Besuch eines Geistlichen zugestanden.« Er ergriff die Hände des Hohen Rabbis. »Rabbi Löw, Ihr dürft ihn gleich morgen früh besuchen.«
    Dann erhob er sich, neigte den Kopf vor den Anwesenden und sagte: »Mehr konnte ich leider nicht tun, aber ich verspreche, dass ich mich weiter umhöre. Und ich werde selbstverständlich die Verteidigung Reb Meisls übernehmen, auch wenn ich Euch, wie ich zu meinem Bedauern sagen muss, nicht viel Hoffnung machen kann. Die Beweislast ist er drückend. Immerhin ist die Leiche des Kindes im Keller seines Hauses gefunden worden. Und es gibt Augenzeugen für die Tat …«
    Der Rabbi brachte seinen Freund hinunter und auch die anderen Ältesten erhoben sich. »Gehen wir nach Hause und beten«, sagte Rabbi Nachum. »Der Ewige stehe uns bei in unserer Not.«
    »Amen«, sagten die anderen.
    Der Hohe Rabbi kam zurück. »Brüder«, sagte er, »wir müssen jetzt stark im Glauben sein und der Gerechtigkeit des Herrn vertrauen, denn es steht geschrieben: Ich will den Erdkreis heimsuchen um seiner Bosheit willen und die Gottlosen um ihrer Missetaten willen und will dem Hochmut der Stolzen ein Ende machen.«
    Die Ältesten nickten zustimmend.
    »Ich werde Reb Meisl morgen besuchen«, fuhr der Rabbi mit fester Stimme fort. »Und ich werde Jankel mitnehmen, meinen Neffen. Er hat junge Augen, die vielleicht mehr sehen als die eines alten Mannes, und er ist zuverlässig und verschwiegen, ein braver Sohn Israels.«
    Wieder nickten die Ältesten, dann verabschiedeten sie sich und

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