Golem stiller Bruder
Schmuliks Gesicht wurde noch weißer. »Er ist nicht freiwillig gegangen«, sagte er fast unhörbar.
»Erzähle«, verlangte der Rabbi.
»Mendel hat mich von der Arbeit nach Hause geschickt«, fing Schmulik an. »Die Soldaten haben alles in der Backstube verwüstet, deshalb können wir heute nicht backen, Mendel muss erst neuen Sauerteig ansetzen. Ich wollte also nach Hause gehen, und da habe ich Koppel gefunden, vor Reb Bassevis Haus.«
Schmulik fing an zu weinen, und Jankel hätte ihn am liebsten in den Arm genommen, aber er wagte es nicht. Der Rabbi legte Schmulik die Hand auf die Schulter.
Dieser erzählte schluchzend weiter: »Er hat noch gelebt, er hat mir noch alles erzählt, bevor er gestorben ist. Er hat gestern Abend in einer Wirtschaft auf der Kleinseite aufgespielt, bei einer Hochzeit, wie er es oft getan hat. Und da ist es zu einem Streit gekommen, er hat aus einem Weinglas getrunken, das einem anderen gehörte, oder es war umgekehrt, das habe ich nicht ganz verstanden, es ist ja auch egal. Und als er nachts auf dem Heimweg war, haben sie ihm aufgelauert, Männer, die er nicht kannte, Feinde Israels, sie haben ihn als Juden beschimpft, als Kindermörder, sie haben ihn mit ihren Fäusten geschlagen und mit ihren Füßen nach ihm getreten.«
Schmulik weinte jetzt so sehr, dass er erst nach einer ganzen Weile weitersprechen konnte. »Sie haben ihm die Beine gebrochen und sie haben ihm die Finger gebrochen, ich habe es gesehen, jeden einzelnen seiner Finger, alle zehn. Er konnte sich nur auf seinen Armen vorwärtsziehen, auf den Ellenbogen … Seine Fiedel hat er mit den Zähnen getragen, an den Saiten…« Schmulik zog seine Hand aus Jankels, schlug beide Hände vor das Gesicht. »Er ist in meinen Armen gestorben«, sagte er. »Er wusste, dass er stirbt, er hat noch gesagt, ich soll die Fiedel für seinen kleinen Sohn aufheben.«
Der Rabbi sprach: » Nun, da du ruhest im Schatten der Allmacht, kann dir kein Unheil widerfahren. Denn er gebietet den himmlischen Geistern, und sie werden dich auf deinem Weg geleiten, und sie werden dich auf ihren Händen tragen, dass dir kein Stein an deine Füße stoße .« Dann fragte er: »Wo ist er?«
»Die Beerdigungsbrüder haben ihn geholt.«
Der Rabbi seufzte tief. »So spricht der Herr: Siehe, es kommt ein Unglück über das andere. Jankel, ich gehe zur Beerdigungsbrüderschaft, sag Jente, dass ich etwas später nach Hause komme.«
Jankel nickte. Er legte den Arm um Schmulik.
»Er war so ein guter Mensch«, sagte Schmulik. »Keine Fiedel vermochte so fröhlich zu jauchzen wie seine, keine klagte inniger, keine berührte die Herzen der Menschen tiefer. Einmal, als ich an Purim krank war, ist er zu uns nach Hause gekommen und hat mir fröhliche Lieder vorgespielt, mir ganz allein, damit auch ich eine Freude haben sollte. Ganz allein für mich hat er gespielt! Und Mendel hat mir inzwischen erzählt, dass er damals, als er zusammengeschlagen wurde, nur meinetwegen auf dem Markt auf der Kleinseite war, nur meinetwegen, um ein Auge auf mich zu haben.«
Gemeinsam gingen sie weiter, und Jankel musste den Freund stützen, der auf einmal schwach und hilflos war.
Jente empfing sie, sie wusste schon Bescheid, Jankel sah es ihr an. » Der Ewige regiert, der Ewige hat regiert und regieren wird der Ewige von Ewigkeit zu Ewigkeit «, sagte sie, wie man es am Totenbett eines Menschen sagt. »Kommt rein, ich habe gefüllte Teigtaschen gebacken.«
Schmulik schüttelte den Kopf. »Ich gehe nach Hause«, sagte er. »Ich kann nichts essen.« Jankel schaute ihm nach. Sein Freund ging langsam, wie ein alter Mann, mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern.
D ie Teigtaschen, gefüllt mit gemahlenen Haselnüssen und Rosinen, schmeckten gut, ich wusste es, weil Jentes Teigtaschen immer gut schmeckten, sie war eine ausgezeichnete Köchin, aber an jenem Tag nahm mein Gaumen nicht wahr, was ich in den Mund schob, ich hätte Stroh kauen können, so verwirrt war ich. Ich kaute und kaute, um Jente nicht zu kränken, aber jeder Bissen wuchs in meinem Mund und füllte ihn aus, und wenn ich zu schlucken versuchte, hatte ich jedes Mal das Gefühl zu ersticken.
Ich hatte Koppel den Fiedler nicht wirklich gekannt, aber sein Tod, zusammen mit dem Bild Reb Meisls, einem Bild des Jammers und der Verzweiflung, das mir noch immer vor Augen stand, machte mir das Herz schwer. Es war, als würde mir jetzt erst deutlich, dass wir wirklich bedroht waren, wir alle, die ganze Judenstadt.
»Jankel«,
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