Golem stiller Bruder
sagte Jente und legte von hinten die Arme um mich, »Jankel.« Ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter und hätte am liebsten geweint, aber ich konnte es nicht. Sie hielt mich fest und streichelte meine Haare.
D er Rabbi kam nach Hause und brachte Schimon mit. Jente bot Schimon Teigtaschen an, aber er schüttelte den Kopf, obwohl er sonst immer alles aß, was sie ihm hinhielt.
»Komm mit, Jankel«, sagte der Rabbi. »Ich muss mit dir sprechen.«
Jankel stand auf und folgte ihnen die Treppe hinauf zum Studierzimmer.
»Jankel«, sagte der Rabbi, »setz dich zu mir.«
Sie setzten sich an den Tisch, Jankel noch immer mit taubem Herzen und mit tauber Seele.
Das Gesicht des Rabbis war sehr ernst. »Höre«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Ich möchte, dass du mit Josef zusammen losziehst, um herauszufinden, wer dieses tote Mädchen war.«
»Ich?«, stotterte Jankel und wurde blass. »Ich? Mit Josef?«
Der Rabbi nickte. »Josef kann nicht sprechen, deshalb nützt es nichts, wenn er allein loszieht, selbst wenn er etwas herausfände, könnte er es mir nicht mitteilen. Und mir fällt kein anderer ein als du, der dazu fähig wäre, ihn zu begleiten.« Er zögerte, dann fragte er: »Du weißt Bescheid über Josef, nicht wahr?«
Jankel nickte, obwohl er fürchtete, der Rabbi könne weiter fragen, woher er es wisse. Doch das tat er nicht. Er sagte nur: »Ich habe es mir gedacht. Hör zu, Reb Meisl muss gerettet werden, nicht nur um seinetwillen, sondern um unser aller willen. Nur wenn wir wissen, wer das tote Mädchen war, können wir vielleicht beweisen, wie die Leiche in Reb Meisls Haus gekommen ist. Für ihn könnte das den Freispruch bedeuten – und für uns alle die Rettung. Bitte, Jankel, begleite Josef.«
»Und wo sollen wir suchen?«
»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Josef wird es wissen. Er besitzt zwar nicht die Gabe des Sprechens, aber er weiß alles, was er braucht, um einen Auftrag auszuführen.«
»Aber warum er, warum Josef?«, fragte Jankel.
»Er wurde dazu geschaffen, uns Juden zu helfen«, sagte der Rabbi. »Er weiß, was er zu tun hat, er kann alles, was man von ihm verlangt, um Juden zu retten. Diese Fähigkeit liegt in ihm, so wie es in einem Vogel liegt, zu singen, und in einem Huhn, Eier zu legen. Aber weil er nicht sprechen kann, braucht er einen Begleiter. Du hast bewiesen, dass du über genügend Mut und Ausdauer für eine derartige Aufgabe verfügst, du bist mit Rochele ganz allein von Mo ř ina bis Prag gekommen, und das ist eine Leistung, die ich nicht jedem jungen Mann hier bei uns zutraue. Unsere jungen Männer haben nicht viel von der Welt gesehen, und ich fürchte, sie können besser beten, als dass sie es schaffen, irgendwelche ungewöhnlichen Aufgaben zu meistern.«
I ch schaute den Rabbi an. Und plötzlich verwandelte sich das Gesicht meines Onkels in das der Wahrsagerin, ich sah wieder die dunklen Augen, die aus den Falten und Fältchen hervorwuchsen und meinen Blick festhielten, bis ich in ihnen versank wie in einem Moorsee, und in meinen Ohren hörte ich ihre dunkle, geheimnisvolle Stimme, die nachhallte wie eine Glocke: Dein Mut und deine Geduld werden dir helfen, Angst und Gefahren zu überwinden, und die Nacht wird dich nicht schrecken. Und wieder überkam mich diese Ruhe, die mich willenlos machte.
D er Hohe Rabbi hatte den Jungen beobachtet. »Jankel«, sagte er jetzt.
Jankel hob verwirrt den Kopf, er brauchte ein paar Sekunden, um wieder zu wissen, wo er war. »Ja«, sagte er dann. »Ja, ich werde tun, was du von mir verlangst.«
Der Rabbi erhob sich. »Schimon, hole Josef«, sagte er. »Und bring deinen Umhang mit. Nachts wird es kühl und mein Umhang ist zu groß für Jankel.«
Schimon verließ das Zimmer, und der Rabbi befahl Jankel, ins rituelle Tauchbad zu gehen und zu beten.
Als er zurückkam, war Josef schon da, bereit, sich auf den Weg zu machen und seinen Auftrag auszuführen. Jankel zog seine Alltagshose und seine Alltagsjacke an, hängte sich Schimons Umhang, der so breit war, dass er sich doppelt hätte hineinwickeln können, um die Schultern, ergriff das Bündel mit dem Essensvorrat, das Jente vorbereitet hatte, und empfing den Segen des Rabbis. Dann machten sie sich auf den Weg, er und Josef, der Golem, dem die Gabe des Sprechens nicht gegeben war, der dafür aber über alles Wissen verfügte, das er brauchte, um Juden zu retten. Es war später Nachmittag geworden, der Himmel war bewölkt und hing tief über der Judenstadt.
13.
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