Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Wohlergehen ihres Sohnes verantwortlich.« Sie seufzte. »Die arme Nadia. Sie ist ganz allein, weißt du.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, gestand Arbeely ein. »Was ist passiert?«
»Ihr Mann hat als Hausierer in Ohio gearbeitet. Eine Zeit lang hat er Briefe geschrieben, aber dann kam nichts mehr.«
»Er ist verschwunden?«
»Tot, krank oder davongelaufen – niemand weiß es.«
Arbeely schüttelte den Kopf. Die Geschichte war nicht ungewöhnlich, dennoch war er immer wieder fassungslos. »Und hier hat sie niemanden?«
»Zumindest keine Familie. Und sie verweigert jegliche Hilfe. Ich habe sie zum Abendessen eingeladen, aber sie ist nicht gekommen.« Maryam schien bekümmert, und das war kein Wunder. Nur selten gelang es jemandem, sich ihr zu entziehen. »Ich glaube, die Nachbarn haben es aufgegeben. Ihre Krankheit ist seltsam, sie kommt und geht. So schlimm es ist, aber manche sagen, dass sie nur so tut, als ob sie krank wäre, um keinen Kontakt haben zu müssen.«
»Oder vielleicht will sie nur nicht, dass man sie anstarrt und über sie redet.«
Maryam nickte betrübt. »Da hast du natürlich recht. Und wer wollte es ihr übel nehmen? Ich werde sie bald besuchen und es noch einmal versuchen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, wie ich ihr helfen kann.«
»Danke, Maryam.« Er seufzte. »Zumindest kommt Matthew jetzt nicht mehr vormittags. Obwohl es Tage gibt, an denen ich nichts dagegen hätte.« Maryam blickte ihn fragend an, und er fuhr fort: »Wegen Ahmad. Ich glaube, im Augenblick mag er den Jungen mehr als mich. In letzter Zeit ist er … schlecht gelaunt. Liebeskummer vermutlich. Er erzählt mir nur wenig.«
Maryam nickte wie gewöhnlich mitfühlend, doch als er Ahmad erwähnt hatte, war die Wärme aus ihrem Blick gewichen. Wie war es möglich, dass Maryam mit ihrem Talent, in jedem Menschen das Gute zu sehen, Ahmad nicht mochte? Arbeely hätte sie gern gefragt; aber damit hätte er sich natürlich auf gefährliches Gelände gewagt. Stattdessen dankte er ihr und ging, missmutiger als zuvor.
In der Werkstatt saßen Ahmad und Matthew an der Werkbank und steckten wie Verschwörer die Köpfe zusammen. Der Dschinn beharrte darauf, dass Matthew aus reinem Zufall sein Geheimnis aufgedeckt hatte; dennoch hatte Arbeely das Gefühl, dass er viel zu lässig mit der Sache umging. Sein Verhalten war Anlass zu ihrem heftigsten Streit seit der Blechdecke gewesen.
Wieso hast du nicht gehört, wie er reingekommen ist?
Du hörst ihn doch auch nicht. Außerdem wusste er es schon.
Und du hast nicht einmal versucht, ihm etwas anderes einzureden?
Arbeely, er hat gesehen, wie ich mit den Händen Kettenglieder gelötet habe. Was hätte ich denn sagen sollen?
Du hättest es zumindest versuchen sollen. Irgendeine Lüge erfinden.
Ahmads Miene hatte sich verdüstert.
Ich habe es satt zu lügen.
Und als Arbeely nicht nachgegeben hatte, verließ der Dschinn die Werkstatt und kehrte erst am nächsten Morgen wieder.
Seitdem verbrachten sie die meisten Vormittage in angespanntem Schweigen. Doch wann immer Matthew kam und sich wortlos an die Werkbank setzte, behandelte Ahmad ihn so geduldig wie sonst niemanden. Manchmal lachten sie sogar zusammen über einen Scherz oder einen Fehler, und Arbeely schluckte seine Eifersucht hinunter und fühlte sich in seiner eigenen Werkstatt wie ein Fremder.
Er versuchte eine nüchterne Haltung einzunehmen. Das Geschäft lief profitabler als je zuvor, und die Halsketten, die sie für Sam Hosseini machten, waren wunderschön – zweifellos würde Sam für jede ein kleines Vermögen einnehmen. Er dachte an den Morgen, als Ahmad hereingekommen war und ausgesehen hatte, als hätte ihm jemand einen tödlichen Schlag versetzt. Schließlich war seitdem erst ein Monat vergangen. Hoffentlich würde sein Partner sich bald von etwas oder – Gott stehe ihnen bei – jemand Neuem ablenken lassen.
Die Sonne zog sich hinter die Mietskasernen zurück, und das Licht im hohen Fenster der Schmiede wurde schwächer. Aus den oberen Stockwerken drangen die Stimmen von Frauen, die ihre Kinder zum Abendessen riefen. Matthew glitt von der Bank und war verschwunden, die sonst laut quietschende Tür wisperte leise, als er hinausging. Und wieder einmal fragte sich der Dschinn, ob der Junge nicht irgendwo einen Geist im Stammbaum hatte. Es schien ihm unmöglich, dass ein Mensch ganz von selbst so rätselhaft sein konnte.
Matthews Besuche waren jetzt der einzige Lichtblick im Leben des Dschinns. Wann
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