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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Brötchen in den Händen hielt und geheimnisvoll lächelte.
Ich habe nie daran gezweifelt, dass Sie eine bewundernswerte Ehefrau sein werden.

    Mahmoud Saleh konnte nicht schlafen, aber nicht aus den üblichen Gründen.
    Er hatte bis lange nach Einbruch der Dunkelheit gewartet, um sich in Ahmads Wohnung zu schleichen. Ahmad hatte ihm den Schlüssel, den er in der verschwitzten Hand hielt, freiwillig gegeben – er musste also keine Schuldgefühle haben. Aber er wollte nicht als Wohnungsbesetzer oder Dieb abgestempelt werden. Er fand die Wohnungstür, fummelte den Schlüssel ins Schloss. Selbst in der Dunkelheit hatte die Wohnung etwas Leeres und Verlassenes. Das einzige Licht fiel durch das nackte Fenster, ein grelles orangefarbenes Glühen, das nichts erhellte. Er ging mit ausgestreckten Armen und wartete darauf, gegen einen Stuhl oder einen Tisch zu stoßen, doch bald schon berührten seine Hände die gegenüberliegende Wand. Auf dem Tisch standen ein paar Kerzen, und er kramte in den vielen Taschen seines Mantels nach Streichhölzern. Im Licht sah er, dass sich außer einem kleinen Tisch, einem Stuhl und einem Kleiderschrank keine Möbel im Zimmer befanden; nur ein paar Kissen lagen auf dem Boden verstreut.
    Hinter einer Tür fand er ein fensterloses Kämmerchen, das kaum groß genug für ein Bett war. Das Bett war nicht bezogen. Er zerrte die Matratze aus dem Gestell und in das größere Zimmer, da er nur eine Tür zwischen sich und einem Fluchtweg wissen wollte. Er tastete nach den Kissen – das Kerzenlicht war keine große Hilfe für seine kaputten Augen – und verteilte sie auf der Matratze. Als er sich schließlich darauflegte, hätte er vor Behagen am liebsten geweint. Am Morgen würde er einen Eimer Wasser holen und sich richtig waschen. Doch jetzt wollte er erst mal nur schlafen.
    Das dachte er zumindest. Stunden später sah er ein, dass das Zimmer sein Vorhaben vereitelte. Es war zu still, zu leer. Aber was hatte er auch erwartet, einen Harem voller Huris und eine Zauberlampe, um darin zu schlafen? Die Wahrheit war, dass er sich in diesem ordentlichen und gewöhnlichen Zimmer wie ein Eindringling, wie ein durch das Fenster gewehtes Stück Abfall vorkam. Mürrisch drehte er sich um und sank tiefer in die Kissen. Der Dschinn sollte verdammt sein, er würde
schlafen.
    Jemand klopfte an die Tür.
    Saleh erstarrte in der Dunkelheit. So spät noch ein Besucher? Was für ein Leben führte dieses Geschöpf? Er hielt den Atem an, zwang sich zu absoluter Stille. Doch es wurde noch einmal geklopft, und dazu hörte er ein paar leise Worte, zuerst in einer Sprache, die er nicht verstand, und dann in schlechtem Englisch: »Hallo? Bitte?« Eine Pause. »Ahmad?«
    Saleh fluchte. Er nahm eine Kerze und öffnete die Tür. »Kein Ahmad«, sagte er und starrte auf die dunklen, weit entfernten Schuhe eines Mannes.
    Eine Frage in dieser anderen Sprache, die fast wie Deutsch klang. Er schüttelte den Kopf, sagte
nein
und entschied, genug des Guten getan zu haben. Sollte der Mann sein Dilemma selbst lösen, worin immer es auch bestand. Er wollte die Tür schließen.
    Ein Schuh des Mannes schoss nach vorn und blockierte die Tür.
    Saleh wich beunruhigt zurück. Der Mann drängte sich in die Wohnung. Saleh drückte die Augen fest zu und öffnete den Mund, um nach Hilfe zu rufen – doch eine kühle, papierne Hand fasste ihn am Handgelenk, und plötzlich konnte er überhaupt keinen Laut mehr von sich geben.
    Schaalman betrachtete den zerzausten Stadtstreicher, der starr vor ihm stand, die Kerze schief in der verkrampften Hand.
Merkwürdig
, dachte er. Der Mann war mit einem Licht zur Tür gegangen, wollte ihn aber nicht ansehen; als erste Abwehrreaktion hatte er die Augen geschlossen. War er blind? Verwirrt?
    Schaalman fragte:
Wer bist du?
    Der Mann öffnete den Mund und bewegte die Lippen, um zu sprechen, doch was immer er sagen wollte, wurde übertönt von einem leisen, hohen, jenseitigen Schrei, der gerade noch hörbar war.
    Schaalman biss verärgert die Zähne zusammen. Er wusste, was das bedeutete. Er hatte schon früher Fälle von Besessenheit gesehen, vor einem halben Leben, in abgeschiedenen preußischen Dörfern und im tiefsten Bayerischen Wald. Es musste ein minder schwerer Fall sein, da der Mann noch sprechen konnte und auch sonst noch funktionierte; aber auch der armseligste Dämon stellte ein unerträgliches Ärgernis dar. Das Wesen würde jede Gelegenheit nutzen, um Schaalmans Aufmerksamkeit zu erregen und um

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