Golgrimms wundersame Welt (German Edition)
er beim schreiben seines Namens stottern .
Winterbottom war ein untersetzter Mann in einem tadellosen dunklen Nadelstreifenanzug und einer Melone auf dem Kopf, die seine fehlende Haarpracht verdeckte. Eine große runde Nickelbrille und eine braune Aktentasche in der Hand gaben ihm das typische Aussehen eines Schreibtisch-Beamten. Er nahm das Mädchen mit sich, denn da sie ja keine Eltern mehr hatte, musste sich schließlich jemand um sie kümmern.
Mister James Doubleyou Winterbottom, beziehungsweise James W. Winterbottom, brachte sie nun also zu ihrem neuen Vormund. Über den Verbleib ihrer Eltern verlor die Polizei zuerst kein Wort, doch Vermutungen zufolge seien sie in den Flammen umgekommen und ihre Leichen zu Asche verbrannt.
Von dem bräunlichen Zettel am Christbaum erfuhr niemand etwas, das behielt Sarah nach wie vor für sich. Denn wer hätte ihr geglaubt? Wahrscheinlich niemand. Zumindest kein Erwachsener!
Das kleine Mädchen war überzeugt, dass irgendetwas nicht stimmte. Irgendetwas sagte ihr, dass ihre Eltern noch lebten und dass irgendjemand Böses plante. Sarah glaubte sehr an Hexerei und Zauberei und all jene Dinge.
Der sich selbst entflammende Zettel war ein weiterer Beweis für die Existenz magischer Kräfte, zumindest war dies für Sarah ein ausreichender Beweis!
Sie war überzeugt, ja geradezu besessen davon, dass die Entführung ihrer Eltern nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Sie konnte die Präsenz von Zauberei regelrecht spüren . Und Mister Barclay stimmte ihr da zu. Auch er spürte es.
Diese Erkenntnisse in ihrem Kopf vertrieben die Kälte und die Trauer ein wenig aus ihrem Herzen und schufen Platz für etwas Neues: Für Kampfgeist und Neugier und die Gewissheit, dass ihre Eltern noch lebten. Das Mädchen musste sie nur finden.
Nun, wie ich schon erwähnte, wurde Sarah zu ihrem neuen Vormund gebracht. Es war ein entfernter Verwandter der auf dem Land lebte und der einzige Verwandte, den Sarah anscheinend noch hatte. Ihre Großväter waren beide im großen Krieg gefallen, die eine Großmutter vor einigen Jahren an Krebs verstorben und ihre andere Großmutter lebte in einem Altersheim. Sarah glaubte, dass sie mindestens zweihundert Jahre alt war. Geschwister hatte das Mädchen keine und auch sonst wusste sie nichts von irgendwelchen Tanten oder Onkel.
Dieser unbekannte Verwandte nun war ein alter Lord, ein sehr verschlossener Mensch. Er lebte einsam und allein auf dem Land, weit weg vom Trubel der großen Stadt, in einem riesigen Schloss in der Grafschaft Yorkshire im Norden Englands.
Sein Name lautete Lord Vincent Sinclair und Sarah hatte noch niemals etwas von ihm gehört.
Es war eine lange Reise und das alte dunkelgraue Auto von Mister Winterbottom knatterte und rumpelte zuerst über die sauber gepflasterten Straßen Londons, dann über holprige Wege außerhalb der großen Stadt und am Ende gar über provisorisch angelegte Pfade irgendwo sehr weit weg von London.
„Warum wusste ich nichts von diesem Verwandten, Mister Winterbottom?“ fragte Sarah und ihr Blick schweifte weiter in die Ferne, während sich London weiter und weiter von ihnen entfernte. Sie konnte die Stadt schon seit geraumer Zeit nicht mehr sehen, nachdem all die Häuser und Türme immer kleiner und winziger wurden und mittlerweile waren ihre Lichter in der Ferne im Dunkel der Nacht langsam verblasst.
Winterbottom schob seine Nickelbrille mit dem Zeigefinger am Nasenrücken hinauf und räusperte sich.
„Nun“ begann er, „ich weiß nicht, weshalb er dir nicht bekannt ist, Kleines. Vielleicht gab es Streitigkeiten in eurer Familie. Vielleicht schon vor deiner Geburt. Fakt jedoch ist, dass sich Lord Sinclair bei uns gemeldet hat, nicht umgekehrt. Heute morgen schon. Er wusste von... nun ja, dem katastrophalen Zwischenfall, welcher dich ereilt hatte und bot sofort an, dich zu sich zu nehmen. Und mach dir keine Sorgen, ich habe euren Stammbaum peinlich genau untersucht, mich durch alle Akten geforstet die ich finden konnte und es steht zweifelsfrei fest, dass Lord Sinclair dein Großonkel ist. Er ist genauer gesagt, der Bruder des Vaters deines Vaters. Es war eine gehörige Portion Arbeit gewesen, aber ich habe mich hindurchgekämpft!“
Stolz auf sich selbst, diese Aufgabe so rühmlich gemeistert zu haben, lächelte Winterbottom einen winzigen Augenblick begeistert auf, bevor er sich wieder mit forschem Blick auf die Straße konzentrierte.
Mister Barcley runzelte die Stirn und brummte etwas.
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