Golgrimms wundersame Welt (German Edition)
Winterbottom schien ihn nicht gehört zu haben, doch Sarah verstand sofort.
„Er hat sich bei ihnen gemeldet? Sie meinen, heute Morgen schon?“ fragte das Mädchen nach. Winterbottom nickte.
Nun legte auch Sarah ihre Stirn in Falten und blickte erneut hinaus in die Ferne. Wie konnte dieser Lord so früh bereits über die Ereignisse der Nacht Bescheid wissen? Nein, das konnte er nicht wissen. Weder aus der Zeitung noch sonst irgendwie. Das war unmöglich. Dazu war die Zeit zu kurz gewesen. Außerdem lebte der Lord auf dem Land, weit von der Metropole London entfernt, also konnte er es auch nicht zufällig mitbekommen haben. Und warum hatte sie nie etwas von ihm gehört?
Immer mehr Fragen drängten sich in Sarahs Kopf hinein, Fragen über seltsame Zettel, geheimnisvolle Verwandte und unheimliche Ereignisse am heiligen Weihnachtsabend.
Jedes einzelne Ereignisse für sich stehend, konnte ein Zufall sein, ein Unfall. Zwei zusammen klangen unwahrscheinlich, aber immerhin im Bereich des Möglichen. Aber drei seltsame Zufälle auf einmal? Und alle hingen zusammen?
Sarah war fest entschlossen, auf all diese Fragen passende Antworten zu finden. Und sie war sich sicher, dass es möglich war auf alle drei Fragen eine einzige passende Antwort zu erhalten.
Vielleicht war dieser geheimnisvolle Lord eine jener Antworten oder sogar die eine entscheidende Antwort auf alle Fragen. Irgendwo musste Sarah ja schließlich anfangen nach Antworten zu suchen und Lord Sinclair stand ganz weit oben auf ihrer Frageliste!
Die Fahrt in dem klapprigen grauen Auto dauerte bis zum Sonnenuntergang und Mister Winterbottom konzentrierte sich sehr aufs Fahren und sagte kein Wort, Sarah starrte die ganze Zeit über nur aus dem Fenster und ihre Gedanken kreisten wild umher, während Mister Barcley sich an sie schmiegte wie ein gewöhnlicher Teddybär. Und als sie das Schloss des Lord Sinclair in den frühen Abendstunden erreichten, schreckte Sarah aus ihrem Halbschlaf hoch und ihre Augen weiteten sich.
Umgeben von einem düsteren Wald, dessen Bäume aussahen, als würden sie niemals Blätter trugen, ragte das Schloss des Lords unheilvoll wie ein Ort des Schreckens aus dem Nebel heraus. Alles dort schien grau und finster zu sein. Sarah sah Fledermäuse durch die Abenddämmerung flattern. Allerlei Kreaturen tönten mit schreckensartigen Lauten durch das Dunkel, hie und da leuchteten gelbe und rote Augen auf, geschützt durch Schatten und Waldwuchs. Die großen Bäume des Waldes knarrten und krächzten, während sie im Wind hin und her geschaukelt wurden, als wollten sie dem Mädchen drohen. Die kargen blätterlosen Äste sahen aus wie knochige Finger und wirkten fast so, als wollten sie absichtlich Eindringlinge fernhalten, wenn nötig mit Gewalt. Als würden diese geisterhaften Bäume leben und wie knorrige uralte Krieger den Weg zum Schloss bewachen.
Sarah rieb sich die Augen. Sie kam sich vor wie in einem Albtraum, wie in einer jener alten Gruselgeschichten.
Und hier beginnt auch die eigentliche Geschichte, die ich erzählen möchte. Hier begann Sarahs wahre Reise.
Das unheimliche Schloss
Eine dicke schwarze Rauchwolke schoss mit einem ohrenbetäubenden Knall aus dem Auspuffrohr des knatternden alten Autos, als Mister Winterbottom bremste, noch ein kleines Stück weit rollte und dann seitlich vor dem riesigen Tor des Sinclair-Anwesens anhielt.
Die metallenen Stangen des Tores waren alt und angerostet. Farbe blätterte ab und schwach grün reifte Moos darauf. Es quietschte und knirschte leise im Wind. Wie Geister in der Nacht schlängelte sich Nebel um das Tor und um die Zinnen des Schlosses und schien jedem Besucher sagen zu wollen:
Unheil wird dich hier erwarten! Kehre um, bevor es zu spät ist!
Sarah zog die bunt karierte Jacke enger, welche sie von Mister Winterbottom bekommen hatte und Mister Barcley lugte oben am Kragen heraus und erzitterte, ebenso wie das kleine Mädchen es tat.
In der Ferne heulte ein Wolf auf und betete die Abenddämmerung an. Der Wind pfiff und sang unheilschwangere Lieder und verhalf so raschelnd und knisternd dem vereinzelten Laub am Boden zu einem seltsamen und unheimlichen Eigenleben.
Winterbottom nahm Sarah bei der Hand und lächelte sie sanft an. In der anderen Hand hielt er seine Aktentasche und eine weitere kleine Tasche, die Sarah zuvor noch nicht erblickt hatte.
„Na, komm schon, Kleines. Gehen wir hinein. Ich kann verstehen wie du dich fühlst, doch ich bin
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