GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
Speerspitze der deutschen Propaganda werden. Das stolze britische Empire schickt fünfzehnjährige Mädchen in die Schlacht? Ziemlich peinlich.«
»Deryn ist ganz und gar nicht peinlich.«
»Aber die werden es darstellen, als sei es peinlich. Es wäre gut, wenn Sie Ihren Namen aus dem Skandal heraushalten. Tesla wird Ihnen dafür dankbar sein.«
Alek schob das Kinn vor und antwortete nicht, sondern schaute zu, wie die Stadt näher kam. Aus tausend Fuß Höhe konnte er ein Netz von Straßen sehen, das von leuchtenden Punkten elektrischer Gaslampen nachgezeichnet wurde. Auf den Piers hatten sich Menschen versammelt, um die Ankunft des großen Luftschiffes zu beobachten.
Würden wirklich alle über Deryn herfallen, wenn sie die Wahrheit erfuhren? Vielleicht die Offiziere der Leviathan und natürlich die Admiralität. Aber sicherlich würden viele Frauen Verständnis dafür haben, warum sie es getan hatte.
Frauen durften allerdings nicht wählen.
Das Horn gab eine Folge von kurzen und langen Tönen von sich, das Signal für Andocken in großer Höhe. Volger zog seine Kavalleriejacke über und reichte Alek einen Mantel aus glänzendem dunklem Zobel, eines von Mr. Hearsts vielen Geschenken.
Alek regte sich nicht und starrte Bovril in die großen Augen.
»Machen Sie sich Sorgen wegen Deryn?«, fragte Volger.
»Natürlich. Und auch …« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
»Das wird sicherlich nicht besonders angenehm für sie. Aber wenn Sie darauf bestehen, Tesla zu helfen, sollten Sie für die nächste Zeit auf Ihren guten Ruf achten.«
Alek nickte und verschwieg den Rest dessen, was ihm gerade klar geworden war. Er und Volger machten sich auf, um sich in ein Getümmel aus Diplomaten und Schaulustigen zu stürzen, während die Leviathan auf einem Flugplatz in New Jersey Treibstoff laden würde, um das Land in vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Wann würde er Deryn wiedersehen?
Sie hatten sich nicht einmal richtig voneinander verabschiedet …
Er schloss die Augen und spürte, wie die Motoren vibrierten und das Schiff langsam abbremste, während es sich Manhattan näherte.
»Gehen wir«, murmelte er, dann nahm er Bovril und machte sich zur Tür auf.
»Dürfte ich wohl ein paar Worte mit Ihnen wechseln, Hoheit?«
Alek drehte sich um. Miss Adela Rogers trug einen roten Wintermantel; der Fuchs um ihre Schulter war aus einer rosa Tierschöpfung gefertigt. Das Fell wurde vom Wind im offenen Laderaum zerzaust.
»Noch ein paar, meinen Sie wohl?«, fragte Alek. Am gestrigen Tag hatte er zwei Stunden mit der Frau verbracht und ihr geschildert, wie die Leviathan Tesla in Sibirien gerettet hatte. Natürlich hatte er sich dabei Deryns Erzählung bedient, weil er selbst die ganze Aktion schließlich verschlafen hatte.
»Unser Interview war wunderbar.« Miss Roger trat näher und senkte die Stimme. »Aber eine Sache habe ich Sie zu fragen vergessen. Wie fühlen Sie sich angesichts der Gefahr, in der Sie schweben?«
Alek runzelte die Stirn. »Gefahr?«
Miss Rogers’ Blick ging über Aleks Schulter hinweg. Im Laderaum waren unter anderem vier Marinesoldaten anwesend. Sie waren mit Gewehren und Entersäbeln bewaffnet, und einer hielt einen Wasserstoffschnüffler an einer Leine.
»Wie Sie sehen, macht sich der Kapitän durchaus Sorgen«, sagte sie. »Schließlich gibt es in New York deutsche Agenten.«
»In Istanbul gab es mehr«, sagte Alek. »Und ganz zu schweigen von Österreich. Trotzdem bin ich jetzt hier.«
Sie kritzelte auf ihren Block. »Hm, sehr tapfer.«
»Sehr«, wiederholte Bovril. »Er kann so verrückt sein, wie er will.«
»Werden die Sätze des Tierchens etwa länger?«, erkundigte sich Miss Rogers.
Alek zuckte mit den Schultern. Allerdings stimmte es.
Das Räderwerk der Ladeluke setzte sich in Gang, und während die Tür aufging, wehte der Wind die Salzluft vom Hafen herein. Alek zog den Mantel enger, und Bovril zitterte auf seiner Schulter.
Durch die entstehende Öffnung sah Alek die Luftbarkasse. Vier kleine Heißluftballons leuchteten unter der Passagierplattform, und aus den Seiten ragten jeweils drei senkrechte Propeller. Die Barkasse bot mehr als einem Dutzend Passagieren Platz. Alek und Miss Rogers sollten zusammen mit Mr. Tesla, Graf Volger, Eddie Malone, Dr. Busk, Kapitän Hobbes und vier Marinesoldaten an Land gehen. Dr. Barlow hatte geäußert, sie wünsche nicht mit Mr. Tesla zusammen fotografiert werden, und sie wartete, bis die Leviathan in New Jersey landete, ehe sie von Bord
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