GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
unvorbereitet.«
» Mr. Sharp«, sagte der Loris auf ihrer Schulter wieder und klang überaus selbstzufrieden.
Deryn musste angesichts des Unbehagens von Miss Eierkopf lächeln. Es war wunderbar, einer solch oberschlauen Person ein Geheimnis verraten zu können. Vermutlich wäre es später nicht mehr so wunderbar, die Überraschung auf den Gesichtern der Mannschaft zu sehen. Aber was konnten die Offiziere ihr schon noch anhaben, wenn sie unter dem Schutz von Miss Eierkopf stand?
»Und warum haben Sie dieses Verkleidungsspiel getrieben?«
»Weil ich fliegen wollte, Ma’am. Wegen der Knoten.«
Miss Eierkopf brummte. »Nun, das verändert die Situation natürlich, Mr. Sharp – oder Miss Sharp, denke ich –, ist aber vielleicht durchaus nützlich. Das Vorgehen der Gesellschaft erfordert manchmal eine gewisse Fertigkeit in der Kunst der Verkleidung. Doch es ist schon erstaunlich, dass niemand Sie durchschaut hat.«
»Nun, ja, ich fürchte, so stimmt das nicht.« Deryn räusperte sich. »Graf Volger hat mich als Erster entlarvt, dann ein Mädchen namens Lilit in Istanbul. Kürzlich erst ist Alek hinter mein Geheimnis gekommen. Ach, und Pancho Villa und sein Arzt. Schließlich noch dieser Oberpenner von Reporter Eddie Malone.«
Miss Eierkopf machte große Augen. »Sind Sie sicher, dass das alle sind, junge Lady? Oder bin ich die letzte Person auf dem Schiff, die es erfährt?«
»Nun, ja, das ist ja gerade das Problem, Ma’am. Ziemlich bald wird die World – das ist die Zeitung von Mr. Malone – es auch erfahren. Er will es veröffentlichen, wenn wir New York heute Abend erreichen.«
»Nun, das wirft ein ganz anderes Licht auf die Sache.« Dr. Barlow schüttelte langsam den Kopf. »Ich fürchte, da muss ich mein Angebot zurückziehen.«
Deryn fuhr hoch. »Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, Miss Sharp, Sie haben in bestimmten Kreisen eine gewisse Berühmtheit erlangt. Sie haben geholfen, die Revolution im Osmanischen Reich in Gang zu bringen. Eine hervorragende Leistung, selbst nach Maßstäben der Londoner Zoologischen Gesellschaft!« Miss Eierkopf seufzte. »Aber wenn diese Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt, wird der Skandal aufgrund Ihrer Bekanntheit nur noch größere Wellen schlagen.«
»Nun, aye«, sagte Deryn. »Eine Woche lang vielleicht.«
»Eine ganze Weile, fürchte ich. Junge Lady, Sie haben dieses Schiff mitsamt seinen Offizieren lächerlich gemacht. Und Sie haben sich dazu einen Augenblick ausgesucht, in dem die ganze Welt den Blick auf uns richtet. Was glauben Sie, werden die Leute über Kapitän Hobbes sagen, der nicht bemerkt hat, dass sich in seiner Mannschaft ein Mädchen befindet!«
»Oh.« Deryn blinzelte. »Das stimmt natürlich.«
»Und damit noch nicht genug, Miss Sharp. Der Air Service ist ein recht neuer Zweig der Streitkräfte, und die Admiralität … Also, die hat Ihnen sogar einen Orden verliehen!«
»Aber Sie haben selbst gesagt, die seien Schwachköpfe!«
»Sehr mächtige Schwachköpfe, Miss Sharp, und die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, sie sich zum Feind zu machen.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt allerdings jemanden , der sich über diese Enthüllung freuen wird.«
»Meinen Sie die Suffragetten, Ma’am?«
»Nein, ich meine die Deutschen. Das ist ein Knüller für ihre Propaganda!« Sie erhob sich. »Es tut mir leid, Miss Sharp, aber ich fürchte, so kann das nichts werden.«
Deryn schluckte und versuchte, irgendeinen Einwand zu erheben, doch die niederschmetternde Wahrheit war die: Dr. Barlow hatte recht. Während der letzten zwei Tage im Krankenbett hatte Deryn nur noch darüber nachgedacht, was Malones Enthüllung für sie selbst bedeuten würde. An ihren Kapitän und ihre Kameraden hatte sie dabei nicht gedacht, und schon gar nicht an den Air Service und das britische Empire.
Und schlimmer, auch Alek hatte nicht daran gedacht. Würde er ihr nicht die Freundschaft aufkündigen, wenn sie Berühmtheit damit erlangte, den Service und ihr Schiff gedemütigt zu haben?
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Miss Sharp, was Sie getan haben, ist sehr tapfer. Sie haben unserem Geschlecht einen großen Dienst erwiesen, und ich bewundere Sie dafür außerordentlich.«
»Ehrlich?«
»Tatsächlich.« Miss Eierkopf winkte Tazza zu sich und öffnete die Tür. »Und wenn Sie sich nicht hätten erwischen lassen, wäre es mir ein Vergnügen gewesen, mit Ihnen zu arbeiten. Vielleicht können wir nach dem Krieg noch einmal über diese Stellung
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