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GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

Titel: GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Westerfeld
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»Er ist aufgewacht.«
    »Aufgewacht? Hast du dich in seine Kabine geschlichen, Mr. Sharp?«
    »Nein! Er ist gestürzt und hat sich den dummen Kopf gestoßen. Es war ein medizinischer Notfall!«
    Lilit schnaubte und lachte, und Deryn wandte sich von ihr ab und starrte düster auf die Leinwand. Vielleicht sollte sie der Welt einfach gestehen, was sie war. Dann konnte sie endlich für immer aufhören, Geheimnisse zu haben.
    Aber der Grund, warum das unmöglich war, befand sich genau vor ihrer Nase und flackerte hell. Fliegen war Fliegen, und jede Minute an Bord der Leviathan war ein Leben voller Lügen wert.
    »Liebst du ihn?«
    Deryn schluckte und zeigte zur Leinwand. »Na, es fühlt sich so an. Wie Fliegen.«
    »Dann musst du es ihm sagen.«
    »Ich habe dir doch gesagt, ich habe ihn schon geküsst!«
    »Das ist wohl kaum das Gleiche. Ich habe dich schließlich auch geküsst. Dabei ging es nicht um Liebe, Mr. Sharp.«
    »Aye, und worum ging es dann?«
    »Neugier.« Lilit lächelte. »Und wie gesagt, du bist schon durchaus ein fescher Bursche.«
    »Irgendwie bin ich mir ziemlich sicher, dass Alek keinen feschen Burschen möchte .«
    »Das kannst du gar nicht wissen, ehe du ihn gefragt hast.«
    Deryn schüttelte den Kopf. »Du wurdest aufgezogen, um Bomben hochgehen zu lassen. Ich nicht.«
    »Wurdest du aufgezogen, um Hosen zu tragen und Soldat zu werden?«
    »Vielleicht nicht. Aber das ist beides totenleicht im Vergleich zu dem hier!« Eines der Schulmädchen schaute zu ihnen herüber, und Deryn senkte die Stimme. »Jedenfalls ist es ganz egal, was er will. Er ist der österreichische Thronfolger, und ich bin eine Bürgerliche.«
    »Wenn der Krieg vorüber ist, gibt es den Thron vielleicht gar nicht mehr.«
    »Na, wie aufmunternd.«
    »So ist der Krieg.« Lilit zog eine Taschenuhr hervor und las sie im flackernden Licht, das von der Leinwand reflektierte, ab. »Wir sollten zurückgehen.«
    Deryn nickte, doch während sie Lilit durch den Gang folgte, warf sie einen letzten Blick über die Schulter. Die Leviathan schwebte wieder über der Wüste dahin, nachdem die Motoren repariert worden waren.
    In diesem Augenblick schwor sie sich, klare Verhältnisse zu schaffen, wenn sie Alek das nächste Mal allein traf. Schließlich hatte sie ihm ihr feierliches Ehrenwort gegeben, niemals Geheimnisse vor ihm zu haben.
    Allerdings würde es dazu vielleicht erst kommen, wenn der Krieg vorbei wäre, und das konnte Jahre dauern. Und dann wäre die Welt vielleicht ein ganz anderer Ort.

36. KAPITEL
    Die nächsten zwei Wochen bestanden für Alek aus einer wir ren Abfolge von Cocktail-Partys, Pressekonferenzen und wissenschaftlichen Vorführungen. Gelder mussten gesammelt werden, Reporter unterhalten und Diplomaten dem jungen Prinzen mit dem anfechtbaren Anspruch auf den Thron von Österreich-Ungarn vorgestellt werden. Das Leben war ein ganz anderes als der festgelegte Rhythmus auf der Leviathan mit ihren Wachen und Glasen und Mahlzeiten. Alek vermisste das stete Dröhnen der Motoren und das sanfte Schwanken des Decks unter den Füßen.
    Deryn vermisste er ebenfalls, sogar mehr als in den schrecklichen Tagen, nachdem er ihr Geheimnis kennengelernt hatte. Zumindest hatten die beiden damals noch auf dem gleichen Luftschiff gelebt, doch nun war auch die Leviathan entschwunden, und damit war seine Verbindung zu seinem besten Freund und Verbündeten gekappt.
    Statt Deryn musste er sich nun mit Nikola Tesla zufriedengeben und die langen Tage mit diesem anstrengenden Mann verbringen. Tesla rang mit den Geheimnissen des Universums, konnte sich jedoch auch stundenlang damit beschäftigen, den richtigen Wein für das Abendessen auszusuchen. Er klagte über die vielen Opfer an Menschenleben, die der Krieg täglich forderte, und verschwendete trotzdem seine Zeit damit, Reportern zu schmeicheln und sich so ausgiebig wie nur möglich im Rampenlicht zu aalen.
    Außerdem wurde er von eigenartigen Leidenschaften beherrscht, und die seltsamste war seine Liebe zu Tauben. Ein Dutzend der grauen, gurrenden Wesen lebten in Teslas Räumen im Hotel Waldorf-Astoria. Er war überglücklich, sie nach den Monaten in Sibirien wiederzusehen. In der langen Zeit hatte sich das Hotelpersonal um die Tiere gekümmert, was viel Geld gekostet hatte.
    Aber Tesla verstand es, sein exzentrisches Wesen in Charme zu verwandeln, und zwar besonders in Gegenwart von Investoren. Er veranstaltete Elektrizitätsvorführungen in seinem Laboratorium in Manhattan und üppige Diners im

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