GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
glänzte Blut.
Deryn stockte der Atem – die freie Hand des Arztes war über ihre Brust gestrichen. Azuela runzelte die Stirn und zögerte kurz. Dann plötzlich hatte er die Schere zurückgezogen und Deryn an die Kehle gesetzt.
»Was haben Sie unter dem Hemd?«, verlangte er zu wissen.
»Nichts!«, antwortete Deryn.
»Da ist etwas festgebunden. Sie tragen eine Bombe! ¡Asesino!«
»Sie irren sich«, sagte Bovril sehr deutlich.
Azuela starrte das Tierchen verblüfft an.
»Ist schon gut, Doktor.« Alek hob die Hände beschwichtigend. »Deryn, zieh einfach das Hemd aus.«
Sie sah ihn stumm an und schüttelte den Kopf.
Dr. Azuela riss den Blick vom Loris los. »Sie wollen Pancho umbringen! Deshalb sind Sie mit einer Bombe heruntergeflogen!«
»Sie ist keine Attentäterin«, sagte Alek.
Der Arzt starrte ihn an.
»Sie«, sagte Bovril.
»Deryn ist ein Mädchen. Deshalb trägt sie diesen Verband um die Brust.« Alek beachtete die Verzweiflung in ihrem Gesicht nicht. »Sehen Sie es sich doch selbst an.«
»Ein argwöhnischer Arzt.«
Während er ihr die Schere weiterhin an die Kehle hielt, tastete er sie erneut ab. Deryn zuckte zusammen, und er riss die Augen auf und zog die Hand zurück.
»¡Lo siento, señorita!«
Deryn öffnete den Mund, doch kein Laut kam heraus. Sie ballte die Fäuste und begann zu zittern. Alek kniete neben ihr, öffnete sanft eine ihrer Hände und ergriff sie.
»Bitte, verraten Sie es niemandem, Sir«, sagte er.
Der Doktor schüttelte den Kopf. »Aber warum?«
»Sie möchte dienen – fliegen.« Alek griff in seine Innentasche, in der er stets den Brief des Papstes trug. Neben dem Behälter für die Schriftrolle fand er einen kleinen Stoffbeutel und holte ihn hervor.
»Hier.« Alek reichte ihn dem Mann. »Für Ihr Schweigen.«
Dr. Azuela öffnete den Beutel und fand den Rest Gold, der Alek von der Vierteltonne seines Vaters geblieben war. Er starrte das Edelmetall einen Moment lang an und schüttelte dann den Kopf. »Ich muss es Pancho sagen.«
»Bitte«, flehte Deryn leise.
»Er ist unser Kommandant.« Er wandte sich an Deryn. »Ich erzähle es nur ihm, versprochen.«
Dr. Azuela rief einen der Rebellen von draußen herein und ratterte einen Befehl in Spanisch herunter. Dann machte er sich an die Arbeit, säuberte die Wunde mit einem Tuch und einer Flüssigkeit aus einer kleinen Silberflasche, sterilisierte eine Nadel und einen Faden und reichte die Flasche schließlich Deryn. Während sie trank, stach er die Nadel durch die Wunde an ihrem Arm und zog die Haut Stich um Stich zusammen.
Alek schaute zu und hielt Deryn die andere Hand. Sie umklammerte seine, und ihre Fingernägel drückten Halbmonde in seine Haut.
»Wird schon wieder«, sagte er. »Nur keine Sorge.«
Denn was interessierte es schon einen großen Rebellenführer, ob sich im britischen Air Service ein Mädchen eingeschlichen hatte?
Ehe Azuela fertig geworden war, brachte eine Böe die Planen des provisorischen Zeltes zum Schwanken. Das war einer der Riesenbullen, der geschnaubt hatte, als hätte eine Lokomotive Dampf abgelassen.
Die Planen teilten sich, und General Villa trat ein. »¿Está muriendo?«
»Nein, er kommt wieder auf die Beine.« Der Arzt wandte den Blick nicht von seiner Arbeit ab. »Aber er hat Ihnen ein interessantes Geheimnis zu verraten. Vielleicht setzen Sie sich lieber.«
Villa seufzte und ließ sich im Schneidersitz neben Alek nieder. Im Sattel hatte seine Erscheinung etwas Stattliches an sich, hier hingegen wirkte er ein wenig dick um den Bauch herum. Er bewegte sich vorsichtig, als würde er möglicherweise unter Rheumatismus leiden.
»Erzählen Sie es ihm«, sagte Dr. Azuela.
Deryn sah erschöpft aus, trotzdem sprach sie mit fester Stimme. »Ich bin Deryn Sharp, mit Orden ausgezeichneter Offizier in Seiner Majestät Air Service. Aber ich bin kein Mann.«
»Aha.« Villa zog die Augenbrauen hoch und betrachtete sie von oben bis unten. »Vergeben Sie mir, Señorita Sharp. Ich wusste nicht, dass die Briten bei den Gleitertruppen Frauen einsetzen. Vielleicht, weil Sie so klein sind, ja?«
»Nein, so ist es nicht, Sir«, erwiderte Deryn. »Es ist ein Geheimnis.«
»Deryns Vater war Flieger«, erklärte Alek. »Ihr Bruder ist ebenfalls beim Air Service. Sie hat sich als Junge verkleidet, weil es die einzige Möglichkeit ist, wie sie Flieger werden kann.«
General Villa starrte Deryn einen Moment lang an, dann lachte er schallend, sodass sein ganzer Leib bebte. »¡Qué
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