Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
und in Ruhe über wichtige Geschäfte reden konnte. Auch bei der GastronomieMesse Italissima in der französischen Hauptstadt präsentierten sich die Firmen des Clans als Inbegriff des Made in Italy. Hier rückte Antonio La Torre persönlich seine Präsenz in der Gastronomiebranche ins Licht und warb für seine Produkte. La Torre stieg schon bald zu einem der führenden schottischen Unternehmer Europas auf.
Antonio La Torre wurde im März 2005 in Aberdeen verhaftet, in Italien drohte ihm eine Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung camorristischen Typs sowie wegen Erpressung. Jahrelang hatte er sich der Verhaftung und Auslieferung entziehen können, weil er britischer Staatsbürger war und die britischen Behörden hei ihm nicht auf Zugehörigkeit zu mafiosen Kreisen erkannten. Schottland wollte einen seiner brillantesten Unternehmer nicht verlieren.
2002 ordnete das Gericht in Neapel Untersuchungshaft für dreißig Mitglieder des La-Torre-Clans an. Das kriminelle Konsortium, so der Vorwurf, habe durch Erpressung, die Kontrolle wirtschaftlicher Aktivitäten und öffentlicher Bauaufträge in seinem Einflußgebiet immense Gewinne gemacht und anschließend im Ausland, namentlich in Großbritannien, reinvestiert, wo eine regelrechte Kolonie des Clans entstand. Hier ging man anders vor, ohne sichtbare Gewalt, ohne kriminelle Lohndrückerei. Man trug zum wirtschaftlichen Aufschwung bei, indem man den Tourismus ankurbelte, in der Stadt bis dato unbekannte Import-Export-Geschäfte etablierte und den Immobiliensektor neu belebte.
Aber aus Mondragone stammte auch eine weitere Symbolfigur weltumspannender unternehmerischer Macht: »Rocke-feller«. Der Name steht für Geschäftssinn und sagenhafte Liquidität. Rockefeller, das ist Raffaele Barbato, zweiundsechzig Jahre alt, geboren in Mondragone. Seinen richtigen Namen hat er wohl selbst vergessen. Verheiratet mit einer Holländerin, machte er bis Ende der achtziger Jahre Geschäfte in den Niederlanden, wo er zwei Kasinos betrieb, die von einer hochkarätigen internationalen Klientel frequentiert wurden, unter anderem dem Bruder Bob Cellinos, des Gründers der Spielkasinos von La Vegas, sowie einflußreichen slawischen Mafiosi mit Sitz in Mia mi . Seine Partner waren ein Sizilianer namens Liborio mit besten Kontakten zur Cosa Nostra und ein Holländer namens Emi, der sich später nach Spanien absetzte, wo er Hotels, Residences und Diskotheken eröffnete. Nach Aussage der Kronzeugen Mario Sperlongaro, Stefano Piccirillo und Giroiamo Rozzera war Rockefeller zusammen mit Augusto La Torre maßgeblich an dem Plan beteiligt, in Caracas mit venezolanischen Drogenhändlern Kontakt aufzunehmen, die Kokain günstiger verkauften als die Kolumbianer, von denen die Neapolitaner und die Casalesen beliefert wurden. Sehr wahrscheinlich gelang es Augusto im Bereich des Drogenhandels, unabhängig zu agieren, was die Casalesen nur in seltenen Fällen zuließen. Rockefeller war es, der für Augusto einen Unterschlupf fand, nachdem dieser in Holland untergetaucht war. Er vermittelte ihm auch die Mitgliedschaft in einem Wurftaubenclub, wo der Boss, fernab vom heimatlichen Mondragone, Tontauben schießen konnte, um nicht aus der Übung zu kommen. Rockefeller verfügte über ein dicht geknüpftes Beziehungsnetz. Nicht nur in Europa, auch in den Vereinigten Staaten war er einer der bekanntesten Geschäftsmänner, insbesondere als Betreiber von Spielkasinos, was ihn auch mit italoamerikanischen Mafiosi in Kontakt brachte. Für sie war Europa als Markt für Investitionen interessant, weil sie von zunehmend mächtiger werdenden albanischen Clans allmählich aus New York verdrängt wurden; und sie schlossen sich immer enger mit den kampanischen Camorra-Familien zusammen. Ihre Gewinne aus dem Drogenhandel investierten sie mit Hilfe des Clans von Mondragone in Restaurants und Hotels. Rockefeller ist der Besitzer des später in La Playa umbenannten Adamo ed Eva, ein schönes Feriendorf an der mondragonesischen Küste und, so die Anklage der Staatsanwaltschaft, ein beliebtes Versteck untergetauchter Clanmitglieder. Je bequemer der Unterschlupf, desto geringer ist die Versuchung, sich der Polizei zu stellen, um mit dem ewigen Auf-der-Flucht-Sein Schluß zu machen. Und mit denen, die mit der Justiz zusammenarbeiteten, kannten die La Torre kein Pardon. Augustos Cousin Francesco Tiberio rief Domenico Pensa an, der gegen den Stolder-Clan ausgesagt hatte, und forderte ihn mit deutlichen Worten
Weitere Kostenlose Bücher