Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
auf, aus Mondragone zu verschwinden.
»Ich habe von den Stolder erfahren, daß du gegen sie ausgesagt hast, und da wir hier im Ort niemanden haben wollen, der mit der Justiz zusammenarbeitet, solltest du besser abhauen, bevor jemand kommt und dich einen Kopf kürzer macht.«
Augustos Cousin verstand es bestens, jeden fertigzumachen, der es wagte, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und auszupacken. Vittorio Di Telia empfahl er unmißverständlich, sich ein Totenhemd zu kaufen.
»Kauf dir was Schwarzes zum Anziehen, wenn du reden willst, du Scheißkerl, ich werde dich umbringen.«
Erst die Aussagen von Kronzeugen machten das ganze Ausmaß der Geschäftfelder deutlich, in denen die Mondragonesen mitmischten. Zu Rockefeilers Freunden zählte auch ein gewisser Raffaele Acconcia, gebürtig aus Mondragone und ebenfalls wohnhaft in den Niederlanden. Der Betreiber einer Restaurantkette war nach Aussage des Kronzeugen Stefano Piccirillo eine führende Figur im internationalen Drogenhandel. In Holland, vermutlich in einer Bank, liegt nach wie vor der Geldschatz des La-Torre-Clans. Viele Millionen Euro aus Vermitt-lungs- und Handelsgeschäften, die die Fahnder bisher nicht gefunden haben. In Mondragone wurde dieser mutmaßlich in einer holländischen Bank befindliche Geldschatz zum Symbol für unumschränkten Reichtum. Man sagt nicht mehr: »Du hältst mich wohl für die italienische Staatsbank«, sondern: »Du hältst mich wohl für die Bank von Holland.«
Der La-Torre-Clan mit Stützpunkten in Südamerika und Dependancen in Holland wollte auf dem römischen Kokainmarkt eine führende Rolle spielen. Rom ist für alle unternehmerisch tätigen Camorra-Familien der Provinz Caserta die erste Anlaufstelle für Drogenhandel und Immobilieninvestitionen. Rom ist heute geradezu ein Ausläufer der Provinz Caserta. Und die Costa Domizia bildete für die La Torre den Hauptstützpunkt ihrer Lieferrouten. Die Villen entlang dieser Küste waren für den Handel zunächst mit geschmuggelten Zigaretten, später mit allen möglichen anderen illegalen Waren von zentraler Bedeutung. Ausgerechnet hier hatte der Schauspieler Nino Manfredi seine Villa. Abgesandte des Clans suchten ihn auf und baten ihn, ihnen seine Villa zu verkaufen. Manfredi lehnte ab und wehrte sich mit allen Mitteln, aber sein Haus stand nun mal an einem strategisch wichtigen Punkt, an dem die Motorboote anlegen konnten, und daher verstärkte der Clan seinen Druck. Man bat Manfredi jetzt nicht mehr zu verkaufen, man setzte einen Preis fest, zu dem er sein Haus abtreten sollte. Manfredi wandte sich sogar an einen Boss der Cosa Nostra, und im Januar 1994 machte er die Sache in der Nachrichtensendung GRi im Radio publik. Aber die Mondragonesen waren mächtig, und kein Sizilianer wagte es zu vermitteln. Erst als sich Manfredi ans Fernsehen wandte und damit das Interesse der überregionalen Medien geweckt war, erfuhr eine breite Öffentlichkeit, welchem Druck er ausgesetzt war, weil er den strategischen Interessen der Camorra im Weg stand.
Der Drogenhandel war jedoch nur einer von vielen Geschäftsbereichen. Enzo Boccolato, Cousin La Torres und Besitzer eines Restaurants in Deutschland, hatte beschlossen, in den Textilexport einzusteigen. Zusammen mit Antonio La Torre und einem libanesischen Geschäftsmann kaufte er Kleidung in Apulien (die Textilproduktion Kampaniens lag bereits fest in den Händen der Clans von Secondigliano) und verkaufte sie in Venezuela über einen Mittelsmann namens Alfredo, der von den Fahndern als einer der wichtigsten Diamantenhändier in Deutschland geführt wird. Dank der kampanischen CamorraClans wurden Diamanten aufgrund ihrer starken Preisschwankungen und ihrer gleichzeitigen Wertbeständigkeit in kürzester Zeit zur idealen Ware, um schmutziges Geld zu waschen. Enzo Boccolato war auf den Flughäfen Venezuelas und Frankfurts bekannt, er hatte Helfer bei der Warenkontrolle, die mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht nur für den Ein- und Ausgang der Textilien sorgten, sondern auch ein Netzwerk für den Kokainhandel knüpften. Man könnte glauben, daß die Clans, haben sie erst einmal große Kapitalmengen angehäuft, ihre kriminellen Aktivitäten unterbrechen und gewissermaßen ihren eigenen genetischen Code zerstören, um ihn auf der Ebene der legalen Wirtschaft neu zu definieren. Wie die Kennedys in Amerika, die während der Prohibition mit dem Verkauf von Alkohol gigantische Gewinne machten, später aber alle Beziehungen zur kriminellen Wirtschaft
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