Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
Vom Netzwerk:
italoamerikanischen Boxweltmeisters Jake La Motta, nicht als einen Landsmann krimineller Eindringlinge, die dabei helfen, ihrem Land wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Mein Akzent war für sie gleichbedeutend mit dem absoluten Machtanspruch der Ökonomie, dem Herrschaftswillen über alles und jedes; einen Willen, der sich durch nichts aufhalten läßt, nicht einmal von der Aussicht auf lebenslange Freiheitsstrafe und den Tod. Es war unglaublich, aber während sie so redeten, merkte ich, daß sie Mondragone, Secondigliano, Marano und Casal di Principe bestens kannten. Diese Orte waren für sie Teil einer Saga, der Saga eines Landes, das von den Restaurants, welche die Unternehmerbosse hier eröffnet und wo sie selbst Arbeit gefunden hatten, weit entfernt lag. Wer im Land der Camorra geboren war, hatte in den Augen meiner schottischen Altersgenossen einen klaren Vorteil. Er trug förmlich ein mit Feuer eingebranntes Mal, das einen dazu bestimmte, das Dasein als einen Kampfplatz zu betrachten, auf dem mit Waffengewalt, nötigenfalls unter Einsatz des eigenen Lebens, um Geld und Macht geschachert wird: das einzige, wofür es sich lohnte, zu leben und zu atmen; das einzige, was einen ins Zentrum katapultierte, ins Herz der Gegenwart, ohne daß man sich um den Rest zu scheren brauchte. Das hatte Brandon Queen geschafft, und er war nicht einmal in Italien geboren, ja er war nie in Kompanien gewesen und nie an kilometerlangen Baustellen, Müllkippen und Büffelfarmen vorbeigefahren. Er hatte es geschafft, ein wirklich mächtiger Mann zu werden, ein Camorrist.
    Diese große internationale Handels- und Finanzorganisation hatte in ihrem eigentlichen Territorium mit eiserner Hand geherrscht. Augusto La Torre hatte in Mondragone ein strenges Regiment geführt und gnadenlos und unerbittlich sein mächtiges Kartell aufgebaut. Die Waffen ließ er zu Hunderten und Aberhunderten aus der Schweiz kommen. Er verfolgte eine differenzierte politische Strategie: zunächst massives Engagement, um öffentliche Bauaufträge an sich zu ziehen, später nur noch strategische Bündnisse, sporadische Kontakte, bis die Geschäfte liefen und die Politik nach seiner Pfeife tanzen mußte. Der Gemeinderat von Mondragone war der erste in Italien, der in den neunziger Jahren wegen camorristischer Unterwanderung aufgelöst wurde. Die Verflechtungen von Politik und Clan wurden jedoch nie ganz gelöst. Im Jahr 2005 fand ein neapolitanischer Camorrist, auf der Flucht vor der Polizei, Unterschlupf im Haus eines Kandidaten, der auf der Bürgerliste (lista civica) des scheidenden Bürgermeisters stand. In der Mehrheitsfraktion des Kommunalrats saß lange Zeit die
    Tochter eines Polizisten, der angeklagt war, für die La Torre Schmiergelder kassiert zu haben.
    Auch mit den Politikern kannte Augusto kein Pardon. Wer sich den Geschäften der Familie in den Weg stellte, wurde erbarmungslos bestraft. Die physische Vernichtung von La Tor-res Feinden verlief nach einem Muster, das im Kriminellenjargon inzwischen »alla mondragonese« genannt wird. Die von Schüssen durchsiebte Leiche wird in einen Brunnen irgendwo auf dem Land geworfen, anschließend wird eine Handgranate gezündet. Auf die Weise wird die Leiche in Stücke gerissen; das, was von ihr übrig bleibt, versinkt im Wasser und wird von der nachstürzenden Erde begraben. So hatte es Augusto La Torre mit Antonio Nugnes gemacht, dem christdemokratischen zweiten Bürgermeister, der 1990 spurlos verschwand. Nugnes stand der Absicht des Clans im Weg, die direkte Kontrolle über die kommunalen Bauaufträge zu gewinnen und bei sämtlichen politischen und administrativen Angelegenheiten mitzumischen. Augusto La Torre wollte keine Verbündeten, er wollte möglichst alle Geschäfte allein machen. In dieser Phase durfte man bei militärischen Maßnahmen nicht allzu zimperlich sein. Zuerst schießen, dann nachdenken, lautete die Devise. Augusto war noch blutjung, als er zum Boss von Mondragone aufstieg. Er wollte Aktionär der noch im Bau befindlichen Privatklinik Incaldana werden, an der Nugnes ein großes Aktienpaket hielt. Sie versprach eine der angesehensten Kliniken Latiums und Kampaniens zu werden, nur einen Steinwurf von Rom entfernt. Viele Firmen aus dem südlichen Latium würden sich hier ansiedeln, und die Costa Domizia und der Agro Pontino würde endlich ein ausgezeichnetes Krankenhaus bekommen. Augusto hatte einen seiner möglichen Nachfolger in den Aufsichtsrat der Klinik geschleust, einen Unternehmer des

Weitere Kostenlose Bücher