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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Clans, der als Betreiber einer illegalen Müllkippe reich geworden war. Er sollte die Interessen der Familie vertreten. Nugnes sträubte sich, er hatte begriffen, daß die La Torre nicht nur in ein lukratives Geschäft einsteigen wollten, sondern daß mehr dahintersteckte. La Torre schickte einen seiner Männer zum zweiten Bürgermeister. Er sollte ihn weichklopfen, damit er La Torres Bedingungen für die wirtschaftliche Leitung der Klinik akzeptierte. Für einen christdemokratischen Politiker war es durchaus nicht anstößig, mit einem Boss in Kontakt zu treten und mit ihm als unternehmerischer und militärischer Macht zu verhandeln. Die Clans waren die bedeutendste Wirtschaftskraft des Territoriums; sich ihnen zu verweigern wäre, wie wenn der Bürgermeister von Turin ein Treffen mit dem Fiat-Vorstand ablehnen würde. Augusto La Torre hatte nicht vor, Aktien zu einem Vorzugspreis zu erwerben und sich auf diese Weise eine Beteiligung an der Klinik zu sichern, wie es ein diplomatischer Boss getan hatte; er wollte seinen Anteil gleich umsonst. Im Gegenzug sicherte er zu, daß seine Firmen, die bei Aufträgen im Dienst-leistungs- und Sicherheitsbereich, für Reinigungsarbeiten, gastronomischen Service und Transport berücksichtigt wurden, professionell und preisgünstig arbeiteten. Er versprach sogar, daß seine Büffelkühe fettere Milch geben würden, wenn diese Klinik sein eigen wäre. Nugnes wollte nicht mitspielen. Unter dem Vorwand, der Boss wolle ihn sprechen, wurde er von seinem Hof geholt und zu einem Bauernhaus nach Fal-ciano del Massico gebracht. Nach Aussage des Bosses wurde Nugnes dort von ihm persönlich sowie von Jimmy alias Gi-rolamo Rozzera, Massimo Gitto, Angelo Gagliardi, Giuseppe Valente, Mario Sperlongano und Francesco La Torre erwartet. Tatsächlich warteten sie darauf, daß der Anschlag ausgeführt wurde. Der Bürgermeister stieg aus dem Wagen und ging auf den Boss zu. Während Augusto zur Begrüßung die Arme ausbreitete, murmelte er, wie er bei der Vernehmung erklärte, Jimmy zu: »Komm, Onkel Antonio ist da.«
    Eine deutliche und finale Botschaft. Jimmy trat auf Nugnes zu und feuerte zwei Schüsse ab, die ihn in die Schläfe trafen, den Gnadenschuß gab ihm der Boss persönlich. Die Leiche warf man in einen vierzig Meter tiefen Brunnen irgendwo auf dem Land, dann zündete man zwei Handgranaten. Jahrelang wußte niemand, was aus Antonio Nugnes geworden war.
    Aus ganz Italien kamen Anrufe von Leuten, die behaupteten, sie hatten ihn gesehen. In Wirklichkeit lag er in einem mit Erde zugeschütteten Brunnen. Dreizehn Jahre später verrieten Augusto und seine engsten Vertrauten den Carabinieri den Ort, an dem die sterblichen Überreste des Bürgermeisters lagen, der es gewagt hatte, sich der Expansion des Unternehmens La Torre entgegenzustellen. Als die Carabinieri die Leichenreste zusammentrugen, stellten sie fest, daß hier mehr als nur ein Mensch verscharrt worden war. Vier Schienbeine, zwei Schädel, drei Hände. Mehr als zehn Jahre lag Nugnes’ Leiche neben der von Vincenzo Boccolato, einem mit Cutolo verbündeten Camorristen, der sich nach dessen Verhaftung den La Torre angenähert hatte.
    Boccolato mußte sterben, weil er in einem Brief, den er aus dem Gefängnis an einen Freund schrieb, Augusto schwer beleidigt hatte. Auf diesen Brief war der Boss rein zufällig gestoßen, als er im Wohnzimmer eines Mitglieds zwischen Papieren und Schriftstücken herumgestöbert und seinen Namen entdeckt hatte. Neugierig las er den Brief, in dem Boccolato eine Flut von Beleidigungen und jede Menge Kritik über ihn ausschüttete. Noch bevor er zu Ende gelesen hatte, verurteilte er Boccolato zum Tod. Zu dessen Mörder bestimmte er Angelo Gagliardi, einen ehemaligen Anhänger Cutolos wie Boccolato selbst. Boccolato würde in seinen Wagen steigen, ohne Verdacht zu schöpfen. Die Freunde sind routinierte Killer, sie machen saubere Arbeit und müssen nicht hinter ihren schreienden und fliehenden Opfern herlaufen. Wenn das Opfer es am wenigsten erwartet, wird ihm still und leise die Pistole ins Genick gedrückt und geschossen. Nach dem Willen des Bosses sollten die Exekutionen in einer Atmosphäre freundschaftlicher Vertrautheit durchgeführt werden. Augusto La Torre konnte es nicht ertragen, ins Lächerliche gezogen zu werden, er wollte nicht, daß man, sobald sein Name fiel, in Gelächter ausbrach. Das durfte niemand wagen.
    Luigi Pellegrino, von allen nur Gigiotto genannt, liebte es, über die Mächtigen seiner

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