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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Das ist das Gesetz des Kapitalismus. Aber vor diesem Loch zu stehen macht einen seltsamen Eindruck. Ein schweres Gewicht, als schlüge einem die Wahrheit auf den Magen.
    Von den Arbeitern des Unternehmens lernte ich einen besonders geschickten näher kennen: Pasquale. Er war spindeldürr, groß und wirkte ein bißchen wie ein Schlaffi: seine Größe drückte hinter dem Hals auf die Schultern. Eine Figur wie ein Haken. Er arbeitete an Kleidern und Modellen, die direkt von den Modeschöpfern kamen. Modelle nur für seine Hand. Er bekam deshalb nicht mehr Lohn, nur andere Aufgaben. In gewisser Weise strahlte er Zufriedenheit aus. Pasquale war mir sofort sympathisch. Sobald ich seine große Nase sah. Er hatte das Gesicht eines alten Mannes, obwohl er noch jung war. Ein Gesicht, das immer über Scheren, Zuschnitte und mit den Knöcheln ausgestrichene Nahte gebeugt war. Als einer der wenigen durfte Pasquale selbst Stoff kaufen. Einige Firmen
    - die auf seine Fähigkeiten vertrauten - ließen ihn direkt in China bestellen und selbst die Qualität des Materials prüfen. Aus diesem Grund hatten sich Xian und Pasquale kennengelernt. Im Hafen hatten wir einmal zusammen gegessen. Danach hatten die beiden sich verabschiedet, und wir waren gleich losgefahren in Richtung Vesuv. Normalerweise sehen Vulkane dunkel aus. Der Vesuv aber ist grün. Von weitem sieht er aus wie über und über von Moos bedeckt. Bevor wir die Straße zu den Städtchen am Fuße des grünen Berges nahmen, fuhren wir in die Einfahrt eines Hauses. Dort erwartete uns Pasquale. Ich begriff nicht, was vor sich ging. Er stieg aus seinem Wagen und versteckte sich in Xians Kofferraum. Ich versuchte, eine Erklärung zu bekommen: »Was ist los? Warum im Kofferraum?«
    »Keine Sorge. Wir fahren jetzt nach Terzigno, in die Fabrik.«
    Ans Steuer setzte sich eine Art Minotaurus. Er war dem Wagen von Pasquale entstiegen und schien genau zu wissen, was er zu tun hatte. Er legte den Rückwärtsgang ein, fuhr zum Tor hinaus, und bevor er sich in den Verkehr einfädelte, zog er eine Pistole heraus. Eine halbautomatische Waffe, die er sich entsichert zwischen die Beine steckte. Ich machte keinen Mucks, aber der Minotaurus sah im Rückspiegel, daß ich ihn ängstlich anstarrte.
    »Die wollten uns einmal umlegen.«
    »Wer denn?«
    Ich wollte alles genau erklärt bekommen.
    »Die, die nicht wollen, daß die Chinesen für die Haute Couture zu arbeiten lernen. Die wollen aus China nur die Stoffe beziehen und sonst nichts.«
    Ich verstand nichts. Immer noch nichts. Xian griff in seinem beruhigenden Tonfall ein.
    »Pasquale hilft uns lernen. Lernen, wie wir hochwertige Modelle herstellen, die man uns noch nicht anvertraut. Wir lernen von ihm nähen ...«
    Nach dieser Zusammenfassung von Xian wollte der Minotaurus erklären, warum er die Pistole brauchte: »Also ... eines Tages tauchte da einer auf, genau da, siehst du, mitten auf dem Platz, und schießt auf das Auto. Er traf den Motor und den Scheibenwischer. Wenn sie uns hätten wegpusten wollen, hätten sie es getan. Aber es war nur eine Warnung. Falls sie es wieder versuchen, bin ich diesmal gerüstet.«
    Der Minotaurus erklärte mir, die Pistole zwischen den Schenkeln zu halten sei im Auto das Beste, sie vom Armaturenbrett zu nehmen würde zu lange dauern. Die Straße nach Terzigno führt bergauf, und die Kupplung quietschte furchtbar. Statt Schüssen aus einer Maschinenpistole fürchtete ich, daß durch das Ruckeln des Wagens die Waffe des Fahrers losgehen und direkt seine Hoden treffen könnte. Wir erreichten unser Ziel ohne Probleme. Sobald wir angehalten hatten, öffnete Xian den Kofferraum und ließ Pasquale aussteigen. Wie ein Papierknäuel rollte er sich langsam auseinander. Als er neben mir stand, sagte er: »Jedesmal dieses Theater, als würde ich polizeilich gesucht. Aber es ist besser, man sieht mich nicht in dem Auto. Sonst ...«
    Und er machte die Geste der Klinge an der Gurgel. Die Fabrikhalle war groß, nicht riesig. Xian beschrieb sie mir stolz. Sie gehörte ihm, aber im Inneren waren neun Kleinstfabriken von neun chinesischen Unternehmern. Man trat in eine Art Schachbrett. Jede einzelne Fabrik hatte in ihrem Quadrat ihre eigenen Arbeiter und Arbeitsplätze. Xian hatte jeder Fabrik so viel Platz zugewiesen, wie die Fabriken von Las Vegas gewöhnlich besaßen. Die Plätze vergab er bei einer Auktion.
    Nach demselben Verfahren. Xian hatte entschieden, keine Kinder zuzulassen, und die Schichten waren wie in den

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