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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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italienischen Fabriken geregelt. Wer für andere Fabriken arbeitete, durfte keine Vorschüsse verlangen. Xian wurde also ein echter Unternehmer der italienischen Modebranche.
    Die chinesischen Fabriken in China verdrängten die chinesischen Fabriken in Italien vom Markt. So brachen Prato, Rom und die Chinatowns in ganz Italien kläglich zusammen: sie waren so schnell gewachsen, daß der Verfall noch rasanter vor sich ging. Nur auf einem einzigen Weg konnten sie sich retten: die Arbeiter mußten lernen, für die Haute Couture zu arbeiten und in Italien höchste Qualität zu liefern. Sie mußten von den Italienern, von den Kleinstunternehmern in Las Vegas lernen und statt Hersteller von Massenware in Süditalien zu Ansprechpartnern für die italienischen Stilisten werden. An die Stelle der italienischen Schwarzarbeit treten, deren Logik, deren Platz und deren Sprache übernehmen. Die gleiche Arbeit, nur zu einem geringeren Preis und ein paar Arbeitsstunden mehr.
    Pasquale packte aus einem Koffer Stoff aus. Ein Kleidungsstück, das er in seiner Fabrik zuschneiden und nähen sollte. Statt dessen fertigte er es hier auf einem Arbeitstisch vor einer Kamera, deren Bilder auf eine große Leinwand hinter ihm geworfen wurden. Eine junge Frau übersetzte über Mikrofon seine Worte ins Chinesische. Pasquale gab seine fünfte Unterrichtsstunde.
    »Äußerste Sorgfalt müssen Sie auf die Nähte verwenden. Die Naht darf nicht auftragen, muß aber sitzen.«
    Das chinesische Dreieck. San Giuseppe Vesuviano, Terzigno, Ottaviano. Das Zentrum der chinesischen Textilindustrie. Alles, was in den chinesischen Gemeinden Italiens passiert, ist zuerst in Terzigno passiert. Die ersten Arbeitsstätten, die Veränderung der Qualitätsstandards und auch die ersten Morde. Hier wurde Wang Dingjim ermordet, ein vierzigjähriger Immigrant, der im Auto von Rom gekommen war, um an einem Fest seiner Landsleute teilzunehmen. Sie luden ihn ein, und dann schossen sie ihm in den Kopf. Wang war ein Schlangenkopf, das heißt ein Schleuser. In Zusammenarbeit mit den kriminellen Banden aus Peking brachte er Chinesen illegal nach Italien. Häufig kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Schlangenköpfen und Käufern der Ware Mensch. Die Schleuser versprechen den Unterne hm ern eine bestimmte Menge, die sie dann nicht wirklich liefern. Wie Drogendealer ermordet werden, wenn sie in die eigene Tasche wirtschaften, so werden Schlangenköpfe umgebracht, wenn sie mit der Ware, den Menschen, schummeln wollen. Dabei erwischt es aber nicht nur die Bandenmitglieder. An einer Tür vor der Fabrik hing das Foto einer jungen Frau. Ein hübsches Gesicht, rosa Bäckchen, schwarze Augen, die wie geschminkt wirkten. Das Bild hing genau da, wo man sich früher das gelbe Gesicht von Mao erwartet hätte. Es war aber Zhang Xiangbi, eine schwangere junge Frau, die vor einigen Jahren ermordet und in einen Brunnen geworfen worden war. Sie hatte hier gearbeitet. Ein Mechaniker aus der Gegend hatte ein Auge auf sie geworfen; sie kam oft an seiner Werkstatt vorbei und gefiel ihm, was seiner Meinung nach offensichtlich ausreichte, sie sich zu nehmen. Die Chinesen arbeiten wie Tiere, bewegen sich rasch und unauffällig wie Blindschleichen und sind schweigsamer als Taubstumme, es erscheint unmöglich, daß sie Widerstand leisten oder einen eigenen Willen zeigen. So denken alle oder fast alle über die Chinesen. Zhang dagegen hatte sich gewehrt und hatte zu fliehen versucht, als der Mechaniker sie bedrängte, aber sie konnte ihn nicht anzeigen. Sie war eine Chinesin und durfte keinerlei Aufsehen erregen. Beim zweiten Versuch ließ sich der Mann ihren Widerstand nicht gefallen. Er verprügelte sie, bis sie bewußtlos war, schnitt ihr dann die Kehle durch und warf die Leiche in einen artesischen Brunnen, wo man sie nach Tagen aufgedunsen aus dem Wasser zog. Pasquale kannte die Geschichte, und sie ging ihm immer noch nach; jedesmal, wenn er Unterricht gab, ging er zu Zhangs Bruder, fragte, wie es ihm gehe, ob er etwas brauche, und bekam die immer gleiche Antwort: »Nichts, danke.«
    Ich verstand mich mit Pasquale richtig gut. Wenn er über Stoffe sprach, wurde er zum Prediger. In den Geschäften war er pingelig, man konnte mit ihm keinen Spaziergang machen, er blieb vor jedem Schaufenster stehen, schimpfte über den Schnitt einer Jacke oder schämte sich an Stelle des Schneiders für die Fasson eines Rockes. Er sagte genau vorher, wie lange eine Hose, eine Jacke oder ein Kleid tragbar bleiben

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