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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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blitzschnelle Avantgarden ihr Business den Erfordernissen anpassen und ein Höchstmaß an Entwicklung erreichen. Zwischen diesen beiden einander entgegenwirkenden und doch komplementären Kräften wird die Widerstandskraft der Stadt völlig aufgerieben. In Neapel ist Gewalt das schwierigste, aber auch das einfachste Mittel, wenn man ein erfolgreicher Unternehmer werden will, der Kriegszustand, der in der Stadt herrscht und den man mit jeder Pore einatmet, riecht nach saurem Schweiß, als würden auf den Straßen wie in einer Art Fitnessstudio unter freiem Himmel Raub über fälle, Diebstähle und Einbrüche, die Gymnastik der Macht und das Spinning des Wirtschaftswachstums geübt.
    Das System blühte auf wie ein Hefeteig in den Holzkästen der Peripherie. Die Kommunal- und Regionalpolitik hatte geglaubt, diese Entwicklung dadurch verhindern zu können, daß sie mit den Clans keine Geschäfte machte. Das aber reichte nicht aus. Man widmete dem Phänomen nicht die nötige Aufmerksamkeit und unterschätzte die Macht der Familien, weil man sie nur als Ausdruck für die Probleme der Vorstädte ansah. So kam es, daß Kampanien die höchste Zahl an Kommunen aufweist, die als von der Camorra infiltriert gelten. Nicht weniger als einundsiebzig Gemeindeverwaltungen in Kampanien sind deshalb seit 1991 bis heute abgesetzt und unter staatliche Aufsicht gestellt worden. Allein in der Provinz Neapel wurden folgende Gemeinderäte aufgelöst: Pozzuoli, Quarto, Marano, Melito, Portici, Ottaviano, San Giuseppe Vesuviano, San Gennaro Vesuviano, Terzigno, Calandrino, Sant’Antimo, Tufino, Crispano, Casamarciano, Nola, Liveri, Boscoreale, Poggiomarino, Pompei, Ercolano, Pimonte, Casola di Napoli, Sant’Antonio Abate, Santa Maria la Caritä, Torre Annunziata, Torre del Greco, Volla, Brusciano, Acerra, Caro-ria, Pomigliano d’Arco und Frattamaggiore. Diese Zahl übertrifft bei weitem die der aufgelösten Gemeindeverwaltungen in anderen Regionen Italiens: vierundvierzig in Sizilien, vierunddreißig in Kalabrien, sieben in Apulien. Nur neun von zweiundneunzig Kommunen der Provinz Neapel standen nie unter vorübergehender staatlicher Verwaltung, wurden nie Gegenstand von Ermittlungen und standen auch nie unter Beobachtung. Die Firmen der Clans haben die Bebauungspläne beeinflußt, haben sich in die Gesundheitsämter eingeschlichen, haben Grundstücke aufgekauft, unmittelbar bevor sie als Baugrund ausgewiesen wurden, und dann darauf als Subunternehmer Einkaufszentren hochgezogen, sie haben Patronatsfeste erzwungen und dafür ihre Dienstleistungsfirmen angeboten, die vom Catering über die Reinigung, den Transport bis hin zur Müllabfuhr alles übernahmen.
    Nie war die Kri min alität im Wirtschaftsleben eines Gebiets so omnipräsent und erdrückend wie in den letzten zehn Jahren in Kampanien. Anders als die sizilianischen Mafiosi brauchen die Clans der Camorra die Politiker nicht, hier sind es die Politiker, die das System dringend brauchen. Die in Kampanien verfolgte Strategie hat dazu geführt, daß die an der Oberfläche sichtbaren und den Medien am meisten ausgesetzten Strukturen der Politik scheinbar immun gegen Verquickungen mit dem organisierten Verbrechen sind, aber in der Provinz, in den Orten, wo die Clans bewaffneten Beistand benötigen, im Untergrund nicht entdeckt werden dürfen oder gefährliche ökonomische Manöver wagen wollen, sind die Bündnisse zwischen Politikern und Familien der Camorra dafür um so enger. An die Macht kommen die Clans der Camorra durch das Imperium ihrer Geschäfte. Das reicht aus, um alles übrige zu beherrschen.
    Die kriminell-unternehmerische Verwandlung der Peripherie von Secondigliano und Scampia war das Werk der Licciardi, der Familie, die ihren operativen Sitz in Masseria Cardone, einer wahrhaft uneinnehmbaren Festung, hat. Die Metamorphose von Secondigliano leitete der Boss Gennaro Licciardi, »‘a scigna« (der Affe), ein. Äußerlich ähnelte er tatsächlich einem Gorilla oder Orang-Utan. Seit Ende der achtziger Jahre war er Statthalter von Luigi Giuliano, dem Boss von Forcella in der Innenstadt von Neapel. Die Peripherie wurde damals als nutzlos betrachtet, da es dort weder Geschäfte gab noch Einkaufszentren, noch Wohlstand, den die Blutsaugerbanden durch Schutzgelderpressungen hätten anzapfen können. Doch Licciardi erkannte, daß gerade dort ein Umschlagplatz für den Drogenhandel und günstiger Ausgangspunkt für den Transport entstehen konnte und daß außerdem für wenig Geld

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