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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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habe ich nie etwas herausgefunden. Raffaele Amato, »‘a vicchiarella« (die Alte), der für den spanischen Markt verantwortlich war, ein Manager der zweiten Führungsebene des Clans, war mit der Kasse der Di Lauro in Barcelona verschwunden. So hieß es. In Wirklichkeit hatte er seine Quote an den Clan nicht bezahlt und damit gezeigt, daß er sich dem gegenüber, der ihn zum Gehaltsempfänger machen wollte, nicht mehr verpflichtet fühlte. Er hatte sich offiziell losgesagt. Bis dahin war er nur in Spanien tätig, das seit jeher von den Clans beherrscht wird. In Andalusien sind es die Casalesen aus Caserta, auf den Inseln die Nuvoletta aus Marano und in Barcelona die »Abtrünnigen«. Mit diesem Namen begann man die Männer zu bezeichnen, die sich von Di Lauro lossagten. Geprägt haben den Begriff die ersten Journalisten, die sich dafür interessierten. Die Chronisten der Unterwelt. In Secondigliano spricht man dagegen von den »Spaniern«, und zwar deshalb, weil ihre Anführer in Spanien sitzen und dazu übergegangen sind, nicht nur die Umschlagplätze, sondern auch die Handelswege zu kontrollieren, da Madrid einer der Hauptknotenpunkte für den Kokainimport aus Kolumbien und Peru ist. Die Männer von Amato hatten nach den polizeilichen Ermittlungen jahrelang mit einem genialen Trick tonnenweise Drogen verschoben. Sie benutzten Müllwagen. Oben Abfall, unten Rauschgift. Eine unfehlbare Methode, um Kontrollen zu vermeiden. Niemand würde einen Müllaster nachts anhalten, der Abfall auf- oder ablädt und gleichzeitig zentnerweise Drogen transportiert.
    Cosimo Di Lauro hatte gemerkt - so geht aus den Dokumenten der Staatsanwaltschaft hervor -, daß die Manager immer weniger Geld in die Kassen des Clans fließen ließen. Die Einsätze waren mit dem Kapital der Di Lauro getätigt worden, aber ein großer Teil des Gewinns, der geteilt werden sollte, wurde einbehalten. Einsatz heißen die Investitionen der Manager beim Kauf einer Partie Drogen mit dem Kapital der Di Lauro. Einsatz. Diese Bezeichnung paßt zu dem völlig regelund schrankenlosen Geschäft mit Kokain und Pillen, in dem nichts sicher und berechenbar ist. Man riskiert, auch in diesem Fall, wie beim Roulette. Wenn du hunderttausend Euro einsetzt, können daraus, wenn alles gut läuft, in zwei Wochen dreihunderttausend werden. Wenn ich auf solche rasanten Gewinnspannen stoße, fällt mir Giovanni Falcone ein, der einmal vor Schülern folgendes Beispiel brachte, das dann in Hunderten von Heften niedergeschrieben wurde: »Um zu verstehen, wie das Geschäft mit dem Rauschgift floriert, müßt ihr euch vorstellen, daß aus tausend Lire, die am 1. September in Drogen investiert werden, am 1. August des folgenden Jahres hundert Millionen geworden sind.«
    Die Summen, die die Manager in die Kassen der Di Laura einzahlten, waren weiterhin astronomisch hoch, wurden jedoch allmählich geringer. Auf lange Sicht hätte diese Praxis einige Leute auf Kosten anderer erstarken lassen, und diese Gruppe hätte, sobald sie organisatorisch und militärisch stark genug geworden war, zum Schlag gegen Paolo Di Lauro ausgeholt. Zum entscheidenden Schlag, von dem man sich nicht mehr erholt. Zu dem mit Blei, nicht durch geschäftliche Konkurrenz. Daher befahl Cosimo, daß alle ein Gehalt bekommen sollten. Er wollte alle Männer direkt von sich abhängig machen. Diese Entscheidung widersprach der Politik, die sein Vater bisher verfolgt hatte, aber sie war notwendig, um die eigenen Geschäfte zu schützen, die eigene Autorität und die eigene Familie. Die anderen sollten nicht mehr verbündete Unternehmer sein, die frei über das zu investierende Kapital, die Qualität und die Art der Drogen, die sie auf den Markt werfen wollten, entscheiden konnten. Nicht mehr freie, unabhängige Ebenen innerhalb einer Multilevel-Gesellschaft, sondern Abhängige. Gehaltsempfänger. Fünfzigtausend Euro im Monat, heißt es. Eine enorme Summe. Aber letztlich doch nur ein Gehalt. Letztlich doch nur eine untergeordnete Rolle. Letztlich das Ende des Traums vom freien Unternehmer anstelle der Arbeit als angestellter Manager. Außerdem war damit die revolutionäre Umgestaltung der Strukturen noch keineswegs zu Ende. Die Kronzeugen erzählen, daß Cosimo auch einen Generationswechsel erzwingen wollte. Die Manager durften nicht älter als dreißig sein. Sofort die Spitze verjüngen. Der Markt macht menschlichem Mehrwert keine Konzessionen. Er läßt nichts durchgehen. Man muß gewinnen, Geschäfte machen. Jedes

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