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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Tage später wurden sie erwischt. Eine ganze Truppe, um eine arglose Frau in Pantoffeln und Pyjama zu ermorden. Killer bei ihrer Feuertaufe, die Kleinstdealer, die zur Kampftruppe umfunktioniert worden waren. Der Jüngste war sechzehn, der älteste achtundzwanzig. Der mutmaßliche Mörder zweiundzwanzig. Als bei der Verhaftung Blitzlichter und Fernsehkameras auftauchten, lächelte einer von ihnen und zwinkerte den Journalisten zu. Auch der mutmaßliche Lockvogel, der Sechzehnjährige, der die Frau über die Gegensprechanlage heruntergeholt hatte, wurde verhaftet. Sechzehn Jahre, genauso alt wie die Tochter von Carmela Attrice, die, als sie die Schüsse hörte, vom Balkon herunterschaute und zu weinen anfing, weil sie sofort alles verstanden hatte. Auch die polizeilichen Ermittlungen ergaben, daß die Täter an den Ort ihres Verbrechens zurückgekehrt waren. Von der Neugierde überwältigt. Als nähmen sie an ihrem eigenen Film teil. Erst in der Rolle der Schauspieler und dann als Zuschauer, aber beides im selben Film. Vielleicht stimmt es, daß derjenige, der schießt, sich nicht genau an diese Geste erinnern kann, denn diese Jungs sind aus reiner Neugierde zurückgekommen, um zu sehen, was sie angerichtet hatten und wie das Gesicht ihres Opfers aussah. Ich fragte Pikachu, ob diese Typen ein »Trupp« der Di Lauro waren oder wenigstens einer werden wollten. Der Kleine fing zu lachen an.
    »Von wegen Trupp ... das hätten die wohl gern, ein Trupp ... das sind doch Hosenscheißer, ich hab’ einen gesehen, einen richtigen Trupp ...«
    Ich wußte nicht, ob Pikachu mir Lügengeschichten auftischte oder sich Dinge zusammenreimte, die er in Scampia aufgeschnappt hatte, doch was er sagte, war stimmig. Der Junge erklärte alles genau, so genau, daß kein Zweifel möglich war. Ihm gefiel mein erstaunter Gesichtsausdruck. Er erzählte mir, er habe einen Hund namens Careca gehabt, wie der brasilianische Stürmer, der mit dem Fußballclub Napoli die italienische Meisterschaft gewonnen hatte. Dieser Hund ging häufig auf den Treppenabsatz vor der Wohnung hinaus. Eines Tages fing er an, an der gegenüberliegenden Tür zu kratzen, weil er roch, daß dahinter jemand war, obwohl niemand dort wohnte. Nach wenigen Sekunden durchlöcherte eine Salve aus einer Maschinenpistole die Tür und traf den Hund. Pikachu untermalte seine Erzählung mit der Nachahmung der Geräusche.
    »Trrtrrtrr ... Careca war sofort tot ... und die Tür, pam ... sprang auf, ganz plötzlich.«
    Pikachu setzte sich nahe einer niedrigen Mauer auf seinen Hintern, stemmte die Füße gegen die Mauer und tat so, als hielte er in der Hand eine Maschinenpistole. Damit zeigte er mir, wie der Camorrist sich verhielt, der seinen Hund erschossen hatte. Der Posten, der immer hinter der Tür Wache hält. Sitzend, mit einem Kissen im Rücken, die Füße rechts und links von der Tür. Diese unbequeme Haltung soll daran hindern einzuschlafen, und vor allem trifft man, von unten nach oben schießend, unfehlbar jeden, der sich der Tür nähert, ohne selbst getroffen zu werden. Pikachu erzählte mir, daß diejenigen, die den Hund erschossen hatten, als Entschuldigung seiner Familie Geld gaben und ihn in die Wohnung einluden. In die Wohnung, in der ein ganzer Trupp versteckt war. Er erinnerte sich an alles, an die leeren Zimmer, in denen nur Betten standen, ein Tisch und ein Fernseher.
    Pikachu sprach schnell, mit heftigen Gesten zeigte er mir Haltungen und Bewegungen der Mitglieder des Trupps. Sie waren nervös, angespannt, und einer von ihnen hatte »Ananasse« um den Hals. Die Ananasse sind die Handgranaten, wie sie die Mitglieder der Trupps am Körper tragen. Pikachu erzählte, am Fenster habe ein Korb voller Ananasse gestanden. Die Clans der Camorra hatten stets eine besondere Vorliebe für Handgranaten. Überall waren die Waffenarsenale der Clans voll von Handgranaten und Panzerfäusten, alle aus Osteuropa. Pikachu erzählte, sie hätten stundenlang an der Playstation gespielt, und er habe alle Mitglieder des Trupps herausgefordert und geschlagen. Er gewann immer, worauf sie ihm versprachen, ihn »eines Tages mitzunehmen, um richtig zu schießen«.
    In einer der Geschichten, die im Viertel kursieren, einer von denen, die immer weiter aufgebauscht werden, heißt es, Ugo De Lucia habe ständig Winning Eleven, das berühmteste Playstation-Spiel, gespielt. In vier Tagen soll er - gemäß der Anklageschrift - nicht nur drei Morde begangen, sondern auch eine Meisterschaft im

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