Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Postale, Case Celesti, Case dei Puffi, Terzo Mondo hatten sich in eine Art Dschungel verwandelt, in einen Regenwald aus Beton, in dem man sich verstecken konnte, einfacher als anderswo untertauchen, zu einer Sinnestäuschung werden. Die Di Lauro hatten alle Manager und Capi verloren, aber dennoch ohne schwere eigene Verluste einen gnadenlosen Krieg entfacht. Als ob ein Staatspräsident, der bei einem Umsturz abgesetzt worden ist, zur Erhaltung seiner Macht und zum Schutz seiner Interessen Schulkinder und Postboten bewaffnen und kleine Beamte und Bürovorsteher als sein Heer ausrüsten würde. Anstelle ihrer bisherigen subalternen Posten gewährt er ihnen Zugang zu den Schalthebeln der Macht.
Ugo De Lucia, ein enger Vertrauter der Di Lauro, den die Antimafia-Einheit Neapel für den Mord an Gelsomina Verde verantwortlich macht, äußerte in einem Telefongespräch, das von einer in seinem Auto angebrachten Wanze aufgenommen wurde, folgendes:
»Ich bewege mich nur auf Befehl, so bin ich eben!«
Der perfekte Soldat beweist seine völlige Ergebenheit gegenüber Cosimo. Dann geht er darauf ein, daß bei einem Attentat ein Mann verwundet wurde:
»Ich hatte ihn umgelegt, ich hätte ihn nicht nur in die Beine geschossen, wenn ich es gewesen wäre, hätte ich ihn zu Brei gemacht, das weißt du ... Verlassen wir uns auf die Leute in meinem Viertel, da ist es ruhig, da können wir arbeiten ...«
»Ich bin der Meinung, daß wir jetzt, wo wir nur noch unter uns sind, alle an einem Ort bleiben sollten ... hier in der Gegend, fünf in einem Haus ... fünf in einem anderen ... und fünf in einem weiteren, und ihr ruft uns nur, wenn wir runterkommen sollen, um ihnen das Gehirn auszublasen!«
Fünfköpfige Kampfeinheiten zusammenstellen, sie in sicheren Wohnungen verstecken und nur noch herauskommen lassen, um zu töten. Nichts anderes. Die Kampfeinheiten heißen paranze, »Trupps«. Doch Petrone, Ugariellos Gesprächspartner, ist beunruhigt.
»Schon, aber wenn einer von diesen Arschlöchern irgendeinen Trupp finden sollte, der sich irgendwo versteckt hat, dann sehen sie uns, verfolgen uns und machen uns platt... ein paar von denen müssen wir doch umlegen, bevor es uns erwischt, hast du kapiert, was ich meine? Laß mich wenigstens vier oder fünf von ihnen erledigen!«
Petrone wäre es am liebsten, die zu töten, die gar nicht wissen, daß sie entdeckt worden sind:
»Am einfachsten ist es, wenn du mit ihnen befreundet bist, du nimmst sie im Auto mit und bringst sie dann ...«
Die Di Lauro sind überlegen, weil sie völlig unvorhersehbar zuschlagen, aber auch, weil sie sich über ihr Schicksal im klaren sind. Vor dem Ende aber wollen sie dem Gegner möglichst hohe Verluste beibringen. Die Logik eines Amokläufers. Die einzige Logik, mit der die zahlenmäßig Unterlegenen auf einen Sieg hoffen können. Noch bevor sie die Kampfeinheiten aufgestellt haben, schlagen sie unerwartet zu.
Am 2. Januar 2005 erschießen sie Crescenzo Marino, den Vater der McKay. Er sitzt mit nach hinten hängendem Kopf in einem für einen Siebzigjährigen ungewöhnlichen Wagen: einem Smart, dem teuersten Modell der Serie. Vielleicht glaubte er, damit die Posten in die Irre zu führen. Anscheinend wurde er mit einem einzigen Schuß in die Stirn getötet. Kein Blut außer einem dünnen Rinnsal im Gesicht. Vielleicht glaubte er, das Haus für einen Augenblick zu verlassen, nur für ein paar Minuten, könnte nicht so gefährlich sein. Für die Killer reichte die Zeit. Am selben Tag bringen die Spanier Salvatore Barra in einer Bar in Casavatore um. An diesem Tag trifft Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi in Neapel ein, fordert die Stadt auf, zu reagieren, und verkündet, daß der Staat Stärke beweisen und den Bürgern zur Seite stehen werde. Allein während seiner Rede finden drei Anschläge statt.
Am 15. Januar schießen sie Carmela Attrice mitten ins Gesicht. Sie ist die Mutter des Abtrünnigen Francesco Barone, »‘o russo« (der Russe), der bei den Ermittlern als einer der engsten Mitarbeiter der McKay gilt. Die Frau hat das Haus seit langem nicht mehr verlassen, deshalb schicken die Mörder einen kleinen Jungen als Lockvogel vor. Er meldet sich an der Gegensprechanlage. Die Signora kennt ihn gut und wittert keine Gefahr. Im Schlafanzug kommt sie die Treppe herunter, öffnet die Haustür, wo ihr jemand die Pistole ins Gesicht hält und schießt. Blut und Gehirnmasse spritzen aus dem Kopf wie aus einem aufgeschlagenen Ei.
Als ich den Ort des
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