Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
sich jetzt andere kümmern.
    Die Dienstanweisung, alle Zwischenfälle auf der Piazza zügig und diskret zu regeln, stammte aus den frühen fünfziger Jahren. Sie hatte damals den Sinn, aus politischen Gründen vorgenommene Verhaftungen so schnell durchzuführen, dass es nicht zu gewalttätigen Zusammenrottungen kam. Doch inzwischen waren Verhaftungen aus politischen Gründen selten geworden – alle rechneten damit, dass sich das Problem der österreichischen Besatzung von allein regeln würde und Heldentaten somit überflüssig waren.
    Jedenfalls hatte man in der Eile vergessen, sich den Namen des kroatischen Offiziers geben zu lassen, der den Mann mit der Pistole entwaffnet und festgehalten hatte, und so stand Aussage gegen Aussage. Der Mann mit der Waffe hatte behauptet, er hätte dem sitzenden Mann die Waffe nur gezeigt, während der sitzende Mann darauf beharrte, dass er mit der Waffe bedroht worden war. Worum es sich bei der Auseinandersetzung gehandelt hatte, war nicht mehr zu ermitteln. Weder der sitzende Mann noch der Mann mit der Waffe schienen daran interessiert zu sein, sich über diese Frage ausführlich zu verbreiten.
    Den Mann, der am Tisch gesessen hatte und von dem anderen Mann mit einer Waffe bedroht worden war, mussten sie gehen lassen. Der Bursche hatte einen Pass präsentiert, der ihn als Angehörigen des diplomatischen Corps auswies, und den Mann gegen seinen Willen zu einer Vernehmung festzuhalten schien Sergente Valli zu riskant. Das konnte Ärger geben – zumal, wenn es sich um den Diplomaten einer befreundeten Macht handelte. Was der Diplomat behauptet hatte. Sergente Valli konnte das nicht beurteilen, er war außenpolitisch schlecht orientiert, aber der Signore mit dem Diplomatenpass schien sich ziemlich sicher zu sein, und Sergente Valli hatte den Eindruck, dass es unklug sein würde, sich mit ihm anzulegen. Und da der andere Mann, der Mann mit der Waffe, hartnäckig danach verlangt hatte, Commissario Tron zu sprechen, entschloss er sich dazu, den Mann und die Tatwaffe in die Questura zu überführen, einen knappen Bericht zu schreiben und ansonsten darauf zu achten, dass die Übergabe ordnungsgemäß erfolgte. Sollten sich doch der Commissario und sein hochnäsiger Assistent, Sergente Bossi, mit diesem Fall herumschlagen. Wenn es denn überhaupt ein Fall war – im Grunde war ja nicht viel passiert.

    Der Bericht, den Bossi mündlich erstattete, als Tron kurz nach vier Uhr die Questura betrat, war kurz und knapp. Potocki hatte den Großfürsten, der an einem der Tische vor dem Quadri gesessen hatte, mit einer Waffe bedroht. Er war von einem Leutnant der Kroatischen Jäger entwaffnet und festgehalten worden. Anschließend hatten ihn zwei uniformierte Polizisten, die gerade am Quadri vorbeikamen, verhaftet. Der ganze Zwischenfall hatte höchstens drei Minuten gedauert. Worum es ging, wollte Potocki dem Sergente nicht verraten. Bei der Waffe, die jetzt auf Trons Schreibtisch lag, handelte es sich um eine zweiläufige Duellpistole. Sie war hübsch anzusehen mit ihren ziselierten Läufen und ihrem Perlmuttgriff.
    Nicht gerade eine Waffe, dachte Tron, die man benutzt, wenn man jemanden töten will. Die Pistole wirkte eher wie ein Bühnenrequisit.
    «Sie war nicht geladen», sagte Bossi, der Trons Blick bemerkte. «Offenbar hatte Potocki nicht die Absicht, den Großfürsten zu töten.»
    «Wo ist Potocki jetzt?»
    Bossis Zeigefinger deutete auf den Fußboden.
    «Unten im Arrest.»
    «Und der Großfürst?»
    «Der hat seinen Pass präsentiert und sich geweigert mitzukommen. Sergente Vallis Verhalten war völlig korrekt. Ich frage mich nur, warum der Groß fürst sich abgesetzt hat.»
    Tron sagte: «Er will demonstrieren, dass er Potocki nicht ernst nimmt. Dass er das, was immer Potocki von ihm wollte, für lachhaft hält. Was haben wir gegen Potocki in der Hand?»
    «Nicht sehr viel. Potocki hat jemanden mit einer ungeladenen Pistole bedroht. Mit einer Waffe, von der es zweifelhaft ist, ob sie überhaupt noch funktioniert.» Bossi zuckte die Achseln. «Wenn Troubetzkoy keine Anzeige erstattet, ist der Fall erledigt.»
    «Was er offenbar nicht will, denn sonst wäre der Großfürst jetzt hier auf der Questura.»
    «Soll ich Potocki holen lassen?»
    Tron nickte.
    «Ich glaube, er hat getrunken», sagte Bossi.

    Als Potocki fünf Minuten später in der Tür stand, sah Tron, dass Potocki tatsächlich getrunken hatte.

    Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und einen Moment lang hatte Tron den

Weitere Kostenlose Bücher