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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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was ich will, Commissario?»
    «Was denn?»
    «Ich will einen Mord aus Eifersucht. Wo der betrogene Ehemann mit dem blutigen Messer in der Hand neben der Leiche seiner Ehefrau sitzt. Und nicht diese … Varianten.»
    Tron lächelte. Vielleicht war es an der Zeit, das Thema zu wechseln. «Sie geben mir das Stichwort, Bossi. Haben Sie sich um die Akten aus Triest gekümmert?»
    «Ich habe an die Questura telegrafiert. Spadeni ist dienstlich in Verona.»
    «Wer hat Ihr Telegramm beantwortet?»
    «Seine Vertretung.» Bossi zog ein Gesicht. «Ein Sergente Merulana. Er hat geantwortet, dass die Akteneinsicht vom Innenministerium genehmigt werden muss.»
    «Was bedeutet das?»
    «Wir müssen einen offiziellen Antrag stellen, den auch die Kommandantura befürworten muss. Dann erst geht er nach Wien.»
    «Was alles in allem ein halbes Jahr dauern wird.»
    Bossi nickte. «Allerdings hat Sergente Merulana auch telegrafiert, dass Spadeni in der nächsten Woche wieder in Triest sein wird. Und dann …»
    «Könnten Sie nach Triest fahren und die Akten dort einsehen.» Tron lächelte fürsorglich. «Auf Beförderungsschein. In der ersten Klasse der Erzherzog Sigmund .» Tron verstärkte sein fürsorgliches Lächeln.
    «Lassen Sie sich auf der Überfahrt ein wenig verwöhnen.»
    Er fand, dass der Sergente ausgesprochen urlaubsreif aussah.

37
    Signora Leinsdorf, Frau Generaldirektor Leinsdorf, beugte sich in den Schatten des Sonnenschirms, der ihren Tisch vor dem Café Quadri in eine dunkle und eine helle Hälfte teilte, und schlug das schwarz gebundene Notizbuch auf, in das sie auf Reisen ihre Ausgaben eintrug. Dann schrieb sie in ihrer akkuraten, leicht eckigen Handschrift: «1 Kaffeegedeck, 2
    Nusstörtchen, 1 Mokka-Parfait, 2 doppelte Cognacs – 3  Lire.»
    Der Posten 2 doppelte Cognacs war insofern nicht korrekt verbucht, als sie lediglich für 2 einfache Cognacs bezahlt hatte – unter Anwendung eines Systems, das ebenso simpel wie effizient war. Sie musste beim Bezahlen die Rechnungsposten nur in flottem Tempo diktieren – Kellner schätzten es, wenn man ihnen half –, das doppelte weglassen, und schon trank sie zwei Cognacs auf Kosten des Hauses. Nicht dass es ihr auf das Geld angekommen wäre, davon hatte sie reichlich. Es war eher die Befriedigung darüber, dass es ihr gelang, in dieser gigantischen Fremdenfalle namens Venedig ihre eigene kleine Falle aufzustellen und hin und wieder etwas darin zu fangen. Außerdem geriet sie bei solchen Gesprächen (was sie niemandem gegenüber eingestanden hätte) immer in eine priapische Erregung.
    Den Aschenbecher auf ihrem Tisch – eine äußerst geschmacklose Gondel aus Pressglas – würde sie einstecken, nachdem sie bezahlt hätte. Es war nicht der erste gondelförmige Aschenbecher, den sie mit einem schnellen Griff in ihrer Handtasche verstaute.
    Sie hatte festgestellt, dass die priapische Erregung dabei noch stärker war als bei ihren Mogeleien mit der Rechnung.
    Signora Leinsdorf lehnte sich in den nachmittäglichen Sonnenschein zurück, schloss die Augen und genoss das wohlige Schwindelgefühl, das sie jedes Mal nach zwei doppelten Cognacs überkam. Das Quadri war ihr Lieblingscafé – der vielen Uniformen wegen, für die sie immer noch eine Schwäche besaß.
    Manchmal fragte sie sich, ob sie Direktor Leinsdorf auch geheiratet hätte, wenn sie ihn nicht zum ersten Mal in der prächtigen Uniform der Honved-Husaren gesehen hätte – auf einem Empfang nach den Herbstmanövern des Jahres 1857. Er hatte ihr über ein Glas Champagner hinweg zugezwinkert, und sie hatte sich unwillkürlich die Mienen ihrer (bereits verheirateten) Freundinnen vorgestellt, wenn sie ihnen einen gut aussehenden Rittmeister der Honved-Husaren als Verlobten präsentierte. Zwei Monate später waren sie verheiratet gewesen, und ein Jahr danach hatte Leinsdorf den Dienst quittiert. Er war in die Bank ihres Vaters eingetreten und hatte es binnen sechs Jahren zum Leiter der Kreditabteilung gebracht. Aus dem Rittmeister Leinsdorf war der Direktor Leinsdorf geworden, auch als Zivilist ein erfolgreicher Mann, doch sie würde nie die maßlose Enttäuschung vergessen, als sie ihn zum ersten Mal ohne seine Uniform gesehen hatte. Im Gehrock hatte er blass und eingeschrumpft auf sie gewirkt, so als würde er plötzlich in Unterwäsche vor ihr stehen.
    Seine Unterwäsche hatte Signora Leinsdorf in der letzten Woche häufig zu ertragen gehabt, denn Direktor Leinsdorf pflegte sich an heißen Tagen, sobald er ihre

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