Gondeln aus Glas
erkennen, dass die genaueste Leserin des Emporio della Poesia die Principessa war. Was sie allerdings nie zugeben würde. Jetzt fragte sie: «Wie hast du das geschafft?»
Tron lächelte. «Der Stadtkommandant hat neue Gedichte angekündigt», sagte er. «Dass seine zackigen Verse in der vorigen Nummer so erfolgreich waren, hat ihn völlig überrascht. Jetzt hat er Blut geleckt.»
«Wirst du seine Gedichte drucken?»
«Natürlich. Erstens hält er mir die Zensur vom Leib, und wir können wieder etwas von Baudelaire bringen. Zweitens hat Toggenburg mir zugesagt, dass das Heeresbeschaffungsamt in Wien zweitausendfünfhundert Exemplare abnehmen wird.»
«Dann wird aus dem Emporio della Poesia ein Propagandablättchen der Habsburgermonarchie.»
«Auf die ich vereidigt bin, wie du eben sehr richtig bemerkt hast. Außerdem kann ich mir meine Kunden nicht aussuchen.»
«Und was, wenn das Veneto Teil Italiens wird?»
«Jetzt fängst du auch damit an. Die Stadt ist ruhig.
Ein paar Leute laufen mit einem Trikolore Bändchen herum, aber das ist alles.»
«Es hängt sich deshalb keiner mehr aus dem Fenster, weil alle davon überzeugt sind, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Österreicher aus Italien verschwinden.»
«Soll ich auf eine zusätzliche Auflage von zweitausendfünfhundert Exemplaren verzichten, nur weil wir irgendwann zu Turin gehören?»
Die Principessa zuckte die Achseln. «Das musst du entscheiden. Jedenfalls waren diese Militärgedichte grauenhaft.»
«Sie haben Toggenburg einen wohlwollenden Brief von Franz Joseph beschert. Den er bei jeder Gelegenheit aus der Tasche zieht. Spaur hat vor Wut geschäumt und holt jetzt zum Gegenschlag aus.»
«Was hat er vor?»
«Spaur hat eine Novelle angekündigt.»
«Eine Novelle?»
«Das ist eine längere Erzählung.»
«Ich weiß, was eine Novelle ist. Ich dachte, der Emporio veröffentlicht ausschließlich Lyrik.»
«Normalerweise. Aber Spaur ist fest dazu ent schlossen, dem Stadtkommandanten jetzt auf dem Feld der Prosa entgegenzutreten. Indem er eine künstlerisch wertvolle Novelle verfasst. Näheres erfahre ich morgen beim Essen im Danieli.»
«Was wird es geben?»
«Wenn ich das wüsste, würde ich mich auf der Stelle erschießen.»
Die Principessa griff nach ihrem Zigarettenetui und warf einen flüchtigen Blick über den Tisch.
«Falls du dich erschießen solltest, Tron, dann denk bitte daran, vorher in den Palazzo Contarini einzubrechen.»
13
Das Danieli, fand Lord Duckworth, hatte schon bessere Tage gesehen. Nicht dass der Service und die Qualität des Essens sich verschlechtert hatten – der befrackte Kellner, der ihm eben sein Tendron de veau serviert hatte, wäre auch den strengen Anforderungen gerecht geworden, die man in einem Londoner Club an das Personal stellte, und auch die Qualität des Gerichtes war vorzüglich. Nur hatte das gesellschaftliche Niveau der Gäste eindeutig nachgelassen.
Die ganzen rauschebärtigen Russen und Polen, die sich im Speisesaal des Danieli breit gemacht hatten – grässlich! Und dann diese Amerikaner – aus New Yaak und aus Baastn. Schon wie die redeten – grauenhaft! Lord Duckworth erinnerte sich dunkel, dass in Baastn irgendein unangenehmes Ereignis stattgefunden hatte, eine Paady, die außer Kontrolle geraten war. Auf dem Weg zu seinem Tisch im voll besetzten Speisesaal hatte er lediglich zwei englische Paare gesehen, sonst bestand das Publikum hier nur aus Ausländern. Das war außerhalb des Vereinigten Königreiches leider nicht zu vermeiden, doch hin und wieder empfand Lord Duckworth es als besonders störend.
Die Krönung des Ganzen aber waren die beiden Gäste, die sich ausgerechnet in seiner unmittelbaren Nähe niedergelassen hatten. Erst hatte ein rundlicher Herr fortgeschrittenen Alters am Nebentisch Platz genommen, der zu einem hellblauen Hemd eine gelbe Halsbinde mit rosa Punkten trug. Dazu passend bedeckte den Kopf des Mannes ein rötliches Samtbarett. Offenbar hatte der Mann die Absicht, sich als Künstler zu tarnen. Was er jedoch definitiv nicht war, denn ein paar Minuten später hatte sich – jawohl! – der abgerissene Bursche zu ihm gesellt, dem er am Sonnabend im Laden dieses französischen Kunsthändlers begegnet war. Beide unterhielten sich in einer Sprache, die weder Französisch noch Italienisch war und die Lord Duckworth, der sich mit Sprachen auskannte, schließlich als Polnisch identifizierte.
Dies alles war ein wenig beunruhigend, speziell der
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