Gondeln aus Glas
direkt auf Tron richtete, «ist indisponiert.» Und dann mit einer Stimme, die jeden Widerspruch ausschloss: «Es wird besser sein, wenn Sie gehen, Commissario.»
«Ein klarer Fall», sagte Bossi, als sie fünf Minuten später wieder auf dem Grund der Calle Mocenigo standen. Der Sergente hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blinzelte in den Streifen blauen Himmels zwischen den Dächern.
Tron fiel auf, dass sich in den leicht fauligen Geruch, der im Sommer bisweilen durch die Gassen wehte, immer wieder ein zarter Blütenduft mischte, und er musste daran denken, dass Venedig eine Stadt der geheimen Gärten war. Diese Gärten – außerordentlich zahlreich und für Besucher meist unsichtbar – lagen hinter hohen Ziegelmauern, versteckten sich in Innenhöfen, brachten es aber trotzdem fertig, den Duft ihrer Blüten über die Mauern und Häuser hinweg in die Calles und Campiellos strömen zu lassen, und jedes Mal, wenn Tron ihn bemerkte (wie jetzt), machte es ihn glücklich.
«Ist Ihnen nicht aufgefallen», fuhr Bossi fort, «wie Troubetzkoy in Panik ausgebrochen ist, als Sie die Hausdurchsuchung erwähnten? Ich wette, er hat den Tizian irgendwo im Palazzo Contarini versteckt.»
Tron zuckte mit den Achseln. «Einem russischen Großfürsten eine Hausdurchsuchung in Aussicht zu stellen ist ein ziemlicher Affront. Unabhängig davon, ob er einen gestohlenen Tizian unter dem Bett hat oder nicht. Im Grunde besagt die Reaktion Troubetzkoys gar nichts.»
«Vielleicht hätten wir den Palazzo Contarini erst durchsuchen und anschließend mit dem Großfürsten reden sollen. Und uns dann erklären lassen, wie der Tizian unter sein Bett kommt.»
«Im Prinzip eine gute Idee, Bossi», sagte Tron.
«Nur fehlen zu einer Hausdurchsuchung die gesetzlichen Grundlagen. Es gibt keinen Zusatzartikel zur Schlussakte des Wiener Kongresses.»
Bossis Mund klappte auf und formte sich zu einem Kreis. «Sie haben also …»
Tron nickte. «Ich wollte sehen, wie Troubetzkoy reagiert, aber inzwischen bezweifle ich, dass seine Reaktion aufschlussreich war.»
«Und die Großfürstin? Die im Nebenzimmer ge lauscht hat und genau dann aufgetaucht ist, als Troubetzkoy sich um Kopf und Kragen geredet hätte?»
«Ich weiß nicht, was Troubetzkoy sagen wollte, und Sie auch nicht.»
«Und wieso ist sie dann plötzlich aufgetaucht?
Doch um zu verhindern, dass Troubetzkoy etwas Falsches sagt.»
«Sie trauen diesem Alibi nicht?»
«Absolut nicht. Der Großfürst hatte ein plausibles Motiv, Kostolany zu töten. Er musste verhindern, dass dieses Dossier abgeschickt wird.»
«Was er über seine Provisionen gesagt hat, hörte sich einleuchtend an.»
«Dann hat Signor Sivry gelogen», sagte Bossi.
«Nein. Aber Kostolany könnte Geschichten ver breitet haben, die nicht stimmen. Vielleicht weil er nicht akzeptieren wollte, dass Troubetzkoy an seinen Gewinnen beteiligt war. Abgesehen davon hat bisher niemand dieses mysteriöse Dossier gesehen.» Tron zuckte die Achseln. «Wir wissen noch nicht einmal, 120
ob es überhaupt existiert. Folglich kann es schlecht als Motiv für einen Mord herhalten.»
«Werden Sie trotzdem mit dem russischen Botschafter in Wien Kontakt aufnehmen?»
«Nur nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidenten.»
«Wenn der normale Dienstweg über den Ballhausplatz läuft», maulte Bossi, «dann dauert die Anfrage mindestens ein halbes Jahr.»
Tron dachte einen Moment nach. Dann sagte er:
«Finden Sie heraus, wann Troubetzkoy an diesem Abend tatsächlich nach Hause gekommen ist. Und ob er den Palazzo Contarini noch einmal verlassen hat.»
«Ich könnte mit dem Personal reden», sagte Bossi.
«Vermutlich sind die Troubetzkoys bei ihren Hausangestellten verhasst. Irgendjemand wird mit Vergnügen den Mund aufmachen.»
«Dann fragen Sie auch, ob in den letzten beiden Tagen ein kleines Gemälde im Palazzo Contarini aufgetaucht und unter dem Bett oder in einem Schrank verschwunden ist.»
«Und was machen wir, wenn sich herausstellt, dass das Bild tatsächlich im Palazzo Contarini ist?»
Dann haben wir ein Problem, dachte Tron. Weil Konsulate selbstverständlich nicht durchsucht werden können. Laut sagte er: «Das entscheiden wir, wenn es so weit ist.»
12
«Die Vorstellung», sagte die Principessa, «dass ein Großfürst höchstpersönlich einen Mord begeht und dabei einen Tizian mitgehen lässt, ist grotesk.»
Vielleicht extravagant, dachte Tron, so extravagant wie die fiori di zucchini, die Massouda (Moussada?) gerade
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